Volkszorn: "Merkel, du Volksverräterin"

Da fährt sie wieder ab: Buh-Rufe und ein Pfeifkonzert für die Kanzlerin nach ihrem Besuch im Flüchtlingslager in Heidenau.
Reportage: Lage in Heidenau wird sich länger nicht beruhigen. Kanzlerin wurde beim Besuch im Asylheim wüst beschimpft.

Lasst mich vor, ich will ihr was sagen", ruft der Herr mit dem grauen Haar. Er drängt sich an den anderen Demonstranten vorbei, bis zur Polizeiabsperrung. In einer halben Stunde soll sie kommen, Angela Merkel hat sich im Asylheim in Heidenau angesagt. "Die Wahrheit soll sie hören!", ruft er, bringt sich in Position.

Hinter ihm nicken viele bekräftigend, von weiter oben, von der Bundesstraße, tönt lautstark ein Hupkonzert. Es ist kein Willkommensgruß, weder für Merkel, noch für die Flüchtlinge, die in dem ehemaligen Baumarkt hinter der Absperrung wohnen. Es ist Ausdruck der überkochenden Wut – ebenso wie die Krawalle in der kleinen Stadt bei Dresden vergangenes Wochenende, als sich Rechtsextreme mit der Polizei prügelten.

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"Wir sind das Pack"

Die Rechtsextremen, sie sind auch heute hier. Ein NPD-Funktionär steht oben an der Straße, vergangene Woche hat er vor dem Heim noch eine Rede gehalten, heute hält er sich im Hintergrund. Laut werden ohnehin andere. "Du Volksverräterin!", brüllt es Merkel entgegen, als sie aus dem Auto steigt. Mehrere Hundert Menschen sind gekommen. "Wir sind das Pack!", schreien sie immer wieder .

"Eigentlich will ich hier gar nicht stehen", sagt eine Dame um die 50, sie ist Lehrerin, extra aus Dresden angereist. Sie hat sich ansehen wollen, wie es hier zugeht – ständig werde sie gefragt, was los sei in Sachsen, ob wirklich alle rechts seien. "Natürlich nicht", stellt sie fest, mehr für sich selbst als für die Umstehenden. "Aber wir können ja nicht alle aufnehmen. Und man muss den Leuten auch mal zuhören."

So wie ihr gehe es ja vielen, mischt sich der Herr ein, der sich vorhin nach vorn gedrängt hat. "90 Prozent der Leute denken hier so. Die Politik muss endlich was tun, sonst geht eine Bombe hoch." Wie er das meint? Nun ja, die Volksseele koche eben. Seinen Namen, nein, den will er nicht nennen. Schließlich habe er ein Geschäft, und das will er nicht schädigen. Ein besorgter Bürger sei er, das müsse reichen.

Dunkles Deutschland

Als Merkel nach eineinhalb Stunden im Flüchtlingsheim dann vor die Kameras tritt, brüllt er wieder mit. "Es gibt keine Toleranz gegenüber denen, die die Würde anderer Menschen infrage stellen", sagt die Kanzlerin in die TV-Kameras. Denen, die "vor Ort Hass zu ertragen haben", dankt sie. Ihre Worte gehen im Gebrüll unter. Die, die sie anschreien, würdigt sie keines Blickes, bevor sie wieder in ihren Wagen steigt.

Es ist das "dunkle Deutschland", an dem Merkel hier vorbeisieht. So nannte Bundespräsident Gauck den rechten Hass, der sich zurzeit in Deutschland entlädt. 200 Angriffe auf Flüchtlingsheime wurden heuer registriert. Vom "hellen Deutschland" sehe er hier nicht viel, sagt Michael Junge. Der Bayer, der gerade auf Urlaub in der Nähe war, vermisst vor allem den Widerspruch in der Bevölkerung hier in Heidenau. "Aber ganz ehrlich: Ich selbst traue mich ja auch nicht. Ich hab schon zu viele Schauergeschichten gehört."

Mohamed machen die Leute vor dem Heim wenig aus. Der 20-jährige Syrer ist erst ein paar Tage hier, er steht mit seinen Brüdern vor dem Tor, sieht sich die schreiende Menge an. "Ich habe auf meiner Flucht so viel Schreckliches erlebt", sagt er und deutet auf seinen Rücken, auf blaue Flecken und Striemen; er wurde auf seiner Flucht misshandelt. "Ich respektiere die Leute, wenn sie mich respektieren. Aber Angst machen sie mir nicht." Ein schwacher Trost.

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