Abtasten statt anpöbeln

Zwölf Tage nach der Wahl spricht die gestärkte Union mit der geschwächten SPD.

Wir haben die gemeinsame Verantwortung, eine stabile Regierung zu bilden. Dazu wird es faire Gespräche geben“, hatte Kanzlerin und CDU-Chefin Angela Merkel am Donnerstag in der Rede zum Nationalfeiertag angekündigt. Gestern Nachmittag hatten die 21 Verhandler aus Union und SPD dazu die erste Gelegenheit: Wie 2005, vor Merkels erster Großer Koalition, traf man einander in der überparteilichen „Parlamentarischen Gesellschaft“ gegenüber dem Reichstag. Die Stimmung war nicht gespannt, aber demonstrativ vorsichtig.

Das liegt nicht am Wahlergebnis, das viel eindeutiger ist als damals, als der Stimmenabstand der SPD zur Union nur einen Prozentpunkt betrug. Jetzt liegt er bei 16 Prozentpunkten und im für Programm und Posten ausschlaggebenden Bundestag sogar viel höher: Die SPD besetzt 192 Sessel, die Union 311, also 60 Prozent mehr. Trotzdem forderten die SPD-Basis und ihre Hinterbänkler bis zuletzt eine Koalition „auf Augenhöhe“ mit allen eigenen Wahlzielen und gleich vielen Ministern. Damit erhöhte der linke Flügel die Spannung.

Wie unrealistisch das ist, wurde von Parteifunktionären wie dem schleswig-holsteinischen Ministerpräsidenten Thorsten Albig öffentlich gerügt. Er wies die Zweckbehauptung der Basis, wegen Merkel sei die SPD in der Großen Koalition geschrumpft und werde das wieder tun, mit „Dummköpfe“ entschiedener zurück als diese selbst: 2009, nach der Großen Koalition, lag der Abstand erst bei elf Prozentpunkten, ihre Opposition seither habe ihn vergrößert statt verkleinert, so Albig im ZDF.

Zur SPD-Taktik gehört auch die von Parteichef Sigmar Gabriel erstmals versprochene Befragung der Parteimitglieder über den ausgehandelten Koalitionsvertrag: Mit dem Druck der angeblich so unwilligen Basis sollen mehr Zugeständnisse der Union erpresst werden.

Gelassenheit

Doch die regiert gelassen: Beide Alternativen zur Großen Koalition, eine Kleine mit den Grünen und Neuwahlen, sind für die SPD sehr schlechte. Der sonst so forsche Parteichef Sigmar Gabriel warnte seine Basis: „Neuwahlen wären eine Katastrophe“.

Merkel erleichtert der SPD die Entscheidung durch das Winken mit Schwarz-Grün: Das sei „doch eine realistische Alternative“, wurde der FAZ aus der CDU-Spitze signalisiert, „das gesellschaftliche Klima spricht ohnehin für Schwarz-Grün“. Deshalb steht am kommenden Donnerstag auch die Unions-„Sondierung“ mit den Grünen am Programm.

Am Freitag ging es mit der SPD nicht um Einzelfragen wie Steuererhöhungen, Mindestlohn, Strompreisbremse, Bund-Länder-Finanzen. Es ging darum, die „roten Linien“, die beide Seiten zuvor gezogen hatten, verblassen zu lassen. Dass sie das tun, war danach klar: „Aufgeschlossen“ war die Stimmung, hieß es in der SPD, „konstruktiv“, in der CDU. Und: „Fortsetzung folgt.“

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