Merkel kommt Briten entgegen

Cameron in die Schranken weisen: Für Merkel könnte das noch heikel werden
Die Kanzlerin will Großbritannien in der EU halten, ein heikler Balanceakt kündigt sich an

Ein hilfreiches Sprichwort war schnell zur Hand. "Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg", bemühte sich Angela Merkel die Differenzen nicht allzu groß wirken zu lassen. Man werde ganz einfach "sachlich das Notwendige tun". Was aber dieses Notwendige sei, da lagen die deutsche Kanzlerin und der britische Premier Freitagmittag in Berlin meilenweit auseinander.

Es ging um die Reform der EU, die David Cameron ganz oben auf seine To-do-List für die zweite Amtszeit gesetzt hat. Am Mittwoch hatte es die Queen in ihrer Thronrede vor dem Parlament offiziell gemacht: Die konservative britische Regierung will eine Neuverhandlung grundlegender Teile der EU-Verträge. Und das rasch, denn bis spätestens Ende 2017 werden die Briten über Verbleib oder Austritt aus der EU abstimmen. Cameron will seine europaskeptischen Landsleute mit einem Erfolg für britische Anliegen zu einem "Ja" für die Union bewegen.

"EU muss flexibel sein"

"Flexibel und einfallsreich" müsse die EU bei diesen Verhandlungen sein, forderte der Brite. Doch diese Flexibilität, wie London sie sich vorstellt, liegt für andere EU-Staaten jenseits der Schmerzgrenze. Zentrales Anliegen Großbritanniens ist eine Beschränkung der Zuwanderung – auch aus EU-Mitgliedsländern. Im Fokus stehen dabei die EU-Armenhäuser auf dem Balkan: Rumänien, Kroatien, Bulgarien.

Leistungen aus dem britischen Sozialsystem sollen Zuwanderern von dort erst nach mehreren Jahren Beschäftigung zustehen. Verlieren sie aber ihre Jobs, sind diese Sozialleistungen sehr rasch wieder weg – und die Betroffenen ebenfalls. Denn London will sich das Recht vorbehalten, diese auch des Landes verweisen zu dürfen.

Außerdem fordert man eine Ausweitung des Veto-Rechts gegen einzelne EU-Regelungen. Dazu soll eine Garantie kommen, dass sich Großbritannien zwar aus jeder vertieften Zusammenarbeit in der EU ausklinken, aber immer uneingeschränkt am gemeinsamen Markt teilnehmen kann.

Änderungen möglich

Ein heikle Gratwanderung für die deutsche Kanzlerin. Merkel hat ja deutlich gemacht, dass sie Großbritannien in der EU halten will. Einen "Brexit", also britischen EU-Austritt, so war aus dem Kreis ihrer Berater zu hören, würde sie als ihre politische Niederlage auffassen. Nicht umsonst betonte sie auch nach Camerons Besuch, dass EU-Vertragsänderungen nicht ausgeschlossen seien. Die Kanzlerin sieht Großbritannien als notwendiges liberales Gegengewicht zu den staatsgläubigen Franzosen. Außerdem hat die deutsche Wirtschaft ihr Engagement auf den britischen Inseln in den letzten Jahren großzügig ausgeweitet. Nicht umsonst kommen aus deren Richtung besonders laute Warnungen vor einem "Brexit".

Doch soviel Verständnis wie bei Merkel erwartet die Briten anderswo in Europa nicht, wie Cameron bei anderen Hauptstadt-Besuchen diese Woche erfahren musste. In Paris will man keine weiteren britischen Extrawürste, etwa für Londons Finanzindustrie. Und in Warschau wehrt man sich vehement gegen Reise- und Arbeitsbeschränkungen für Zuwanderer. Schließlich arbeitet eine Million Polen in Großbritannien.

Kommentare