Demirtas rechnet mit kurdischer Flüchtlingswelle

HDP-Chef Selahattin Demirtas
Ende der Visumpflicht könnte zu einem Zustrom aus der Türkei führen, sagt prokurdischer Politiker.

Die EU hat der Türkei von Ende Juni an Visumfreiheit in Aussicht gestellt - im Gegenzug für das Entgegenkommen der Türkei in der Flüchtlingskrise. Ein Ende der Visumpflicht könnte allerdings zu einem neuen Zustrom von Flüchtlingen führen.

Nach der geplanten Aufhebung der Visumpflicht für Türken droht nach Einschätzung der prokurdischen Oppositionspartei HDP ein Zustrom von Kurden in die EU. "Wenn sich der Krieg in der Türkei ausweitet, kann es zu neuen Flüchtlingsströmen kommen", sagte HDP-Chef Selahattin Demirtas der Deutschen Presse-Agentur in der südosttürkischen Kurdenmetropole Diyarbakir. "Nicht nur Kurden, auch Türken könnten nach Europa fliehen." Es liege daher im eigenen Interesse der EU, die Türkei zur Wiederaufnahme von Verhandlungen mit der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK zu drängen.

Potenziell 400.000 bis 500.000 Flüchtlinge

Auch der Türkei-Experte Gareth Jenkins vom Institut für Sicherheits- und Entwicklungspolitik (ISDP) erwartet eine neue Fluchtbewegung in die EU, sollte die Visumpflicht wie geplant Ende Juni aufgehoben werden. "Potenziell könnten 400.000 bis 500.000 türkische Flüchtlinge - vor allem Kurden - Asyl beantragen", sagte er der dpa. Jenkins geht davon aus, dass angesichts der eskalierenden Gewalt im Kurdenkonflikt viele dieser Asylbewerber Aussicht auf Anerkennung hätten.

Die türkische Regierung und die verbotene kurdische Arbeiterpartei PKK machen sich gegenseitig für die Eskalation des Konflikts verantwortlich. Nach Angaben der Regierung vom vergangenen Monat sind mehr als 350.000 Menschen vor der Gewalt in den Kurdengebieten im Südosten der Türkei geflohen. Jenkins rechnet damit, dass diese Zahl zunehmen wird.

Schwarzarbeit

Zu den Flüchtlingen hinzu käme eine unbekannte Zahl von Türken, die versuchen würden, in die EU einzureisen und dort schwarz zu arbeiten, sagte Jenkins. Er glaube daher nicht, dass die Visumpflicht tatsächlich wie geplant aufgehoben werde. Sollte sich das dennoch abzeichnen, rechne er mit einem Kollaps des Schengen-Abkommens. "Ich bin sicher, dass sich einige Staaten aus Schengen zurückziehen würden, bevor sie Türken visumfreie Einreise erlauben."

Die EU und die Regierung in Ankara haben in ihrem Abkommen zur Flüchtlingskrise als Ziel vereinbart, die Visumpflicht für Türken Ende Juni aufzuheben. Die Türkei hat nach eigenen Angaben mehr als die Hälfte der 72 Bedingungen dafür erfüllt. Die restlichen Punkte sollen noch vor Anfang Mai abgearbeitet werden. Demirtas sagte, auch seine Partei sei für die Visumfreiheit.

Visumfrei aufhalten dürften sich Türken im Schengen-Raum nach der Vereinbarung nur 90 Tage in einem Zeitraum von 180 Tagen. Das Recht, sich in der EU niederzulassen und dort zu arbeiten, ist damit nicht verknüpft. Kritiker befürchten aber, dass Türken in die EU strömen könnten, um dort unterzutauchen und schwarz zu arbeiten. Flüchtlinge mit türkischem Pass könnten ungehindert mit dem Flugzeug in die EU einreisen und dann beispielsweise auch in Österreich Asyl beantragen.

Die EU hat der Türkei im Rahmen des Flüchtlingsdeals eine Aufhebung der Visumpflicht bei Reisen in den Schengen-Raum bis Ende Juni in Aussicht gestellt. Die Türkei muss dafür 72 Bedingungen erfüllen, unter anderem müssen Passvorschriften an EU-Standards angeglichen werden.

Visumfreiheit heißt nicht, dass sich Türken dann in der EU niederlassen dürften. Es geht um Kurzzeit-Visa, die einen Aufenthalt von maximal 90 Tagen in einem Zeitraum von 180 Tagen erlauben. Derzeit müssen Türken einen aufwendigen Prozess durchlaufen, um ein Visum zu bekommen. Die meisten EU-Bürger dürfen dagegen visumfrei in die Türkei einreisen. Ein Ende der Visumpflicht ist eine zentrale Forderung Ankaras.

Kommentare