Das Horrorgefängnis von Assad

Ein Satellitenbild des Gefängniskomplexes Saydnaya
Rund 18.000 starben seit 2011 an den Folgen von Folter durch das Regime.

Es klingt anders, wenn ein Körper getreten wird, als wenn er geschlagen wird. Und dabei klingt es anders, ob er die Schläge mit einem Gürtel, einem Kabel oder einem Besenstiel bekommt. Gegen eine Betonwand geworfen zu werden macht ein anderes Geräusch als gegen eine Holztüre. Schreie, die durch eine Lüftung ans Ohr gelangen, klingen anders, als wenn sie durch eine Wasserleitung in den Raum driften.

All diese – und noch viel mehr – Geräusche kennt Salam Othman. Er war jahrelang im Gefängnis Saydnaya 25 Kilometer von Damaskus entfernt eingesperrt. Dem Berüchtigtsten der Assad-Gefängnisse. Folter, Schläge, Missbrauch waren dort alltäglich. Er ist geflüchtet und derzeit in London. In den vergangenen Monaten haben er und weitere ehemalige Häftlinge des Regierungsgefängnisses durch ihre Zeugenaussagen – gemeinsam mit der Menschenrechtsorganisation Amnesty International, britischen forensischen Architekten und Akustikern – eine virtuelle Rekonstruktion des Gebäudes ermöglicht.

Das Horrorgefängnis von Assad
Saydnayna

Schreie nicht erlaubt

Beim Rekonstruieren waren vor allem akustische Erinnerungen gefragt, schreibt der britische Guardian, der über den Amnesty-Bericht als Erster berichtet hat. Häftlinge – vom Regierungsgegner bis hin zum kleinsten -kritiker – hatten in Saydnaya oft tagelang Augenbinden tragen müssen. Dadurch wurden Geräusche viel genauer aufgenommen. "Du erkennst die Person, die sich nähert, an ihren Schritten", sagt Salam Othman. "Wenn du Schreie hörst, dann weißt du, dass Neue gekommen sind – wenn du keine Schreie mehr hörst, weißt du, sie haben sich an Saydnaya gewöhnt." Während der "Bestrafungen" durfte man keinen Ton von sich geben. Das hätte die Folter nur verlängert.

Das Horrorgefängnis von Assad
Saydnayna

Durch "Echo Profiling" – indem er den Ohrenzeugen verschiedene Aufnahmen von Schlägen vorspielte – konnte Soundspezialist Lawrence Abu Hamdan die Größe der Räume rekonstruieren. "Das Gefängnis ist wie eine Echo-Kammer. Wird eine Person gefoltert, ist es, als ob alle gefoltert werden. Denn die Geräusche umströmen den ganzen Raum, durch Lüftungen und Wasserleitungen. Du kannst ihnen nicht entkommen", sagt Hamdan.

Die Experten kamen zu dem Schluss, dass sogar die Bauweise des Gefängnisses offenbar schon darauf ausgerichtet war, dort Menschen zu foltern. "Das Gebäude ist ein architektonisches Instrument für Folter", sagt Eyal Weizman von der zuständigen Architektengruppe.

300 Foltertote im Monat

Bereits vor Ausbruch des Bürgerkrieges hatte Amnesty International die Lage in syrischen Gefängnissen beobachtet. Vor 2011 starben demnach monatlich drei bis vier Menschen an den Folgen von Folter durch Schergen der Assad-Regierung. Heute, nach fünf Jahren Krieg, belaufen sich Schätzungen auf 300 pro Monat, sagt Amnesty-Österreich-Generalsekretär Heinz Patzelt im KURIER-GEspräch. "Das zeigt, wie brutal und panisch das Regime seine Macht abzusichern meint." Es gehe nicht mehr um das Gewinnen von Informationen oder Geständnissen, sondern darum, "Menschen psychisch zu zerstören", so Patzelt. Ein Drittel der Insassen sterbe dabei. Die andere würden freigelassen – als "enorm wirksames Signal der Macht".

Amnesty beziffert die Zahl der Toten in Gefängnissen seit Beginn des Bürgerkrieges im März 2011 auf 17.723. Da Zehntausende syrische Häftlinge vermisst seien, sei die tatsächliche Zahl wahrscheinlich höher.

Das Horrorgefängnis von Assad
Saydnayna

Der Chef von Amnesty International Österreich warnt: "Natürlich muss man alle Konfliktparteien an einen Tisch bringen. Aber wer glaubt, mit Assad eine zukünftige Landesstruktur aufbauen zu können, dem sollte all das in Erinnerung gerufen werden."

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