Verbeugung vor den Helden

Putin trifft Poroschenko und Obama: Feierlichkeiten wurden auch zur Bühne für Krisentreffen zur Ukraine.

Fast musste Angela Merkel handgreiflich werden, um die beiden Herren zueinander zu bugsieren. Doch im Weltpolitiker-Gewühl rund um das Mittagessen im eleganten Chateau de Benouville schaffte es die deutsche Kanzlerin schließlich doch, ein Gespräch zwischen dem neu gewählten Präsidenten der Ukraine, Petro Poroschenko, und seinem russischen Amtskollegen und Erzfeind Wladimir Putin zustande zu bringen. Eine Viertelstunde lang unterhielten sich die beiden, laut Ohrenzeugen vor allem über "die Modalitäten eines Waffenstillstandes" und die Lage in den Bürgerkriegsregionen in der Ostukraine. Zum Abschied gaben sich die beiden Staatschefs, wenn auch mit betont eisiger Miene, sogar die Hand.

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French PM Manuel Valls, Britain's Queen Elizabeth
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FRANCE NORMANDY 70TH ALLIED D-DAY ANNIVERSARY
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Russian President Putin meets with German Chancell
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British World War II veteran Frederick Glover pose

Es war nicht der einzige Moment an diesem Feier- und Gedenktag in der Normandie, an dem die politische Aktualität die Erinnerung an die Landung der Alliierten vor 70 Jahren verdrängte. Und es war sichtlich Putin, der das Gespräch mit den westlichen Politikern suchte – auch um die Außenseiterrolle, die ihm an diesem Tag zugedacht war, zu überwinden. Schon in der Früh kam es zum ersten Treffen Merkels mit Putin. Die russische Regierung betonte danach, dass auch bei diesem Treffen die Krise in der Ukraine wichtigstes, wenn nicht einziges Thema war. Die deutsche Kanzlerin, die in ihrer Rede vor neuen "Gräben und Trennlinien in Europa" warnte, gab sich dabei demonstrativ kühl und blieb auf Distanz.

Die versuchte auch US-Präsident Obama zu wahren, zumindest vor den TV-Kameras. So war man beim Familienfoto aller Staatsoberhäupter bemüht, den US-Präsidenten so weit weg wie nur irgendwie protokollarisch möglich von seinem russischen Kollegen zu platzieren.

Könige als Pufferzone

Obama und Putin wurden vorsorglich von gekrönten Häuptern wie Elisabeth II. oder Harald V. von Norwegen flankiert. Hinter den Kulissen dagegen, so teilte das Weiße Haus nachträglich mit, sei es doch zu einem kurzen Treffen gekommen. Gerade der US-Präsident legte Wert darauf, der Tagespolitik an diesem Feiertag keine allzu große Bühne zu geben. So erschien er zum Mittagessen überraschend in Begleitung eines D-Day-Veteranen, als wolle er auch die anderen Staatschefs daran erinnern, wem dieser Tag eigentlich gewidmet sein sollte.

Auch bei seiner Rede vor den Veteranen verzichtete Obama auf jeden Verweis auf die aktuelle politische Lage, um sich ganz dem Gedenken , aber auch dem Dankesagen zu widmen. "Demütig" stehe er heute vor diesen Männern, die hier in der Normandie einen "Brückenkopf der Freiheit" errichtet hätten: "Dieser Anspruch steht auf diesem Strand in Blut geschrieben. Wir sind euch für immer dankbar."

Bei einer feierlichen Zeremonie wird der Alliierten-Landung in der Normandie vor 70 Jahren und Zehntausender Kriegsopfer gedacht - und Barack Obama kaut auf der Ehrentribüne lässig Kaugummi. Dieser Fauxpas hat dem US-Präsidenten am Freitag einen Sturm der Entrüstung eingebrockt. Auf Twitter empörten sich zahlreiche Nutzer über Obamas "schamloses" und "vulgäres" Verhalten.

Manch einer beschimpfte ihn gar als "Flegel". "Obama, willst Du vielleicht noch eine Cola, während Du zur Marseillaise Kaugummi kaust?", fragte der Twitter-Nutzer toto_des_bois, dem mehr Respekt vor der französischen Nationalhymne geboten schien. Ein anderer namens diminou forderte protokollarische Höflichkeit im Beisein der stets gemessen auftretenden britischen Königin Elizabeth II., die ebenfalls zu der Gedenkfeier angereist war: "Die Queen trifft ein, und Obama kaut Kaugummi."

Schon nach der Beerdigungszeremonie für den verstorbenen südafrikanischen Friedensnobelpreisträger Nelson Mandela im Dezember sah sich Obama ähnlicher Kritik ausgesetzt. Während des weltweit im Fernsehen übertragenen Trauerakts hatten seine Kiefer ebenfalls verdächtige Malmbewegungen gemacht. Der Grund dafür könnte aber durchaus ernster Natur sein: Der mächtigste Mann der Welt versucht seit langem, das Rauchen aufzugeben - und greift dabei regelmäßig auf Nikotin-Kaugummis zurück.

Teile der Ostukraine außer Kontrolle, Bewaffnete auf den Straßen, Erschießungen vor laufender Kamera – in der Ostukraine tobt ein Kampf um Städte, Dörfer, Straßensperren, Grenzposten. Heute wird Petro Poroschenko als neuer Präsident des Landes vereidigt. Angekündigt hat er einen Plan zur Beilegung der Krise. Vyacheslav Bryukhovetskyy ist Rektor an der Kiewer Mohyla Akademie und war an den runden Tischen zur Beilegung der Krise in der Ostukraine beteiligt. Der KURIER traf ihn in Wien zum Interview.

KURIER: Ist der Osten der Ukraine für Kiew verloren?

Bryukhovetskyy: Er ist noch nicht verloren. Die entscheidende Frage ist, wie viele Menschen dort die Separatisten tatsächlich unterstützen. Es sind zehn Prozent. Aber die wahren Probleme wird es erst nach der Anti-Terror-Operation (ATO, Anm.) geben. Man kann nicht glauben, dass dann alles super wird: Die Wirtschaft liegt am Boden, viele Leute haben die Region verlassen. Aber Poroschenko hat einen realistischen Plan zur Bewältigung dieser Probleme.

Anti-Terror-Operation – ist das ein probates Mittel zur Lösung der gegenwärtigen Probleme?

Es ist wahrscheinlich unmöglich, die gegenwärtige Situation politisch zu lösen. Und die ATO wird härter werden und radikaler. Die Terroristen sind auf Kämpfe eingestellt. Sie werden nicht ohne Kampf weichen. Freilich: der Einsatz der Armee ist problematisch. Aber: Aus Russland kommen täglich schwere Waffen, hochtechnologisches Gerät. Es gibt zur Entsendung der Armee schlicht keine Alternative.

Befinden sich die Ukraine und Russland im Krieg?

Es ist ein Krieg. Wenn auch kein offener Krieg, kein erklärter. Aber es ist ein Krieg. Eine neue Art von Krieg. Einer über Extremisten, eingesickerte Agenten und Offiziere.

Ist eine Lösung ohne Russland möglich?

Ohne Russland ist es unmöglich, eine Lösung zu finden. Aber so lange Russland seine neofaschistische Haltung beibehält, werden wir Probleme haben.

Mit dem Zerfall der Partei der Regionen ist dem Osten seine politische Vertretung abhanden gekommen. Ist das ein Problem?

In den vergangenen Jahren hat praktisch nur der Osten in Kiew regiert. Und natürlich: Der Osten muss auch künftig vertreten sein. Poroschenko kann diese Frage lösen.

An einem Gedenktag wie diesem: Russland hat sich ein Exklusivrecht für den Sieg über den Faschismus gesichert. Wie kommt es, dass Länder wie Weißrussland oder die Ukraine, die massivste Opfer erlitten haben, daran nicht Teil haben?

Da steckt eine sehr bewusste Politik Putins dahinter. Die Vereinnahmung der Verdienste anderer. Sogar des D-Days. Das ist ein Teil dieses Krieges.

Die D-Day-Gedenkfeiern in der Normandie haben den Bann über Wladimir Putin gebrochen. Russlands Präsident wird inmitten der Ukraine-Krise wieder von westlichen Politikern empfangen, am Montag reist erstmals wieder Deutschlands Außenminister Steinmeier zu Gesprächen nach Moskau.
In Wien wird Putin am 24. Juni – wie der KURIER berichtete – zu einem eintägigen Kurzbesuch erwartet. Um Unstimmigkeiten innerhalb der EU zu vermeiden, sei der Putin-Besuch vorab mit EU-Ratspräsident Rompuy geklärt worden, heißt es dazu aus der Präsidentschaftskanzlei. Treffen wird der Kremlherr in Wien sowohl Bundespräsident Heinz Fischer als auch Kanzler Werner Faymann.

Bei der kurzen Visite Putins handelt es sich um einen lang geplanten Gegenbesuch – Fischer war 2011 in die russische Hauptstadt gereist. Welches Programm Putin absolvieren wird und welche Themen besprochen werden, wird nach Angaben der Präsidentschaftskanzlei derzeit noch erarbeitet. Als relativ wahrscheinlich gilt ein Besuch Putins am Heldendenkmal der Roten Armee am Wiener Schwarzenbergplatz. Dort dürfte er, wie schon bei seinen früheren Wien-Visiten, einen Kranz niederlegen.

D-Day, Jour-J, Tag X: Der 6. Juni 1944 hat die Welt verändert. Damals landeten die Alliierten mit der "Operation Overlord" in der Normandie. Es war der Auftakt zur Befreiung Europas von der Nazi-Herrschaft, während zeitgleich die Rote Armee im von den Deutschen ungewollten Zweifronten-Krieg im Osten vorrückte.

Die Invasion war bereits im Dezember 1943 beschlossen worden, die Planungen liefen schon weit länger im Vorfeld. Es war die größte Landungsoperation der Weltgeschichte, die Armada war von einer noch nie dagewesenen Größe. Beinahe 7000 Schiffe mit mehr als 130.000 Soldaten, zudem rund 12.000 Flugzeuge steuerten kurz nach Mitternacht die Küste an. Der Termin war zuvor schon wegen schlechten Wetters verschoben worden.

Die Verteidiger unter der Nazi-Flagge hingegen waren weit in der Unterzahl: Sie hatten die Invasion an der der engsten Stelle des Ärmelkanals, am Pas de Calais, erwartet und dort ihre Verteidigungsstellungen aufgebaut. An den fünf tatsächlichen Landungsstellen mit den Bezeichnungen "Utah", "Omaha", "Gold", "Juno" und "Sword" aber standen kaum 50.000 Infanteristen bereit.

Im Morgengrauen überrollten die Alliierten, hauptsächlich bestehend aus Amerikanern, Briten, Kanadiern, Polen und Franzosen, die deutschen Stellungen, über 10.000 Einsätze an einem Tag wurden geflogen. Doch erst nach vier Wochen schafften sie endgültig den Durchbruch. In den erbitterten Kämpfen starben rund 20.000 Zivilisten in der Normandie. Wegen des unnachgiebigen Widerstands der Deutschen sollte es noch elf Monate dauern, bis der Krieg endete.

Feiern und Gedenken

Verbeugung vor den Helden
Karte Frankreich, Nachbarländer mit Verlauf der alliierten Truppenbewegungen, Frontlinien; Chronologie 5. bis 7. Juni 1944, getötete Soldaten Grafik 0665-14-Geschichte.ai, Format 134 x 196 mm
Heute feiern die einstigen Feinde in Frankreich zusammen das Ende des Zweiten Weltkriegs. In Ouistreham, wo 1944 auch Franzosen an Land gingen, gibt es eine Reihe an Gedenkveranstaltungen. Fallschirmspringer landen in Teilen der Normandie, Amphibienfahrzeuge und historische Panzer rollen über Strände, auf dem Wasser werden Bootsparaden organisiert. In der Nacht sollen synchronisierte Feuerwerke am gesamten Küstenabschnitt auf 80 Kilometern die 24 wichtigsten Punkte der Landung illuminieren. Gastgeber ist Präsident Francois Hollande, an seiner Seite wird die deutsche Kanzlerin Angela Merkel stehen. Dennoch wird heuer nicht nur das Gedenken im Vordergrund stehen. Eingeladen sind auch Russlands Präsident Wladimir Putin und der neue ukrainische Präsident Petro Poroschenko.

Trotz der eigenartigen Informationspolitik der österreichischen Präsidentschaftskanzlei konnte der KURIER am Freitag berichten, dass Wladimir Putin am 24. Juni nach Wien kommen wird. Österreich hat zwar seine Stellung als Treffpunkt der internationalen Diplomatie verloren, aber dieser Besuch ist wichtig für ganz Europa. Putin ist der gewählte russische Staatspräsident und damit der offizielle Ansprechpartner. Er soll so oft wie möglich im Westen empfangen werden und hier sein aggressives Verhalten auf der Krim rechtfertigen. Außerdem sollen die Verantwortlichen im Westen zu verstehen versuchen, welche außenpolitische Strategie der Mann mit dem undurchdringlichen Blick wirklich verfolgt.

Das wissen zwar die vielen Aktivisten in den sozialen Medien von Twitter bis Facebook auch nicht, für die Russland gut und die USA das Reich des Bösen ist, aber sie zeigen uns, wie sehr sich bei uns das öffentliche Bild der großen Mächte verschoben hat. Bei den Feiern zur Invasion in der Normandie hat Barack Obama an die Leistungen der alliierten Soldaten am 6. Juni 1944 erinnert. Amerika habe mit seinem Kampf gegen Nazi-Deutschland seinen Anspruch auf Freiheit, Gleichheit und Demokratie erhoben. "Dieser Anspruch steht auf diesen Stränden mit Blut geschrieben", so Obama.

Woher kommt der Anti-Amerikanismus?

Nun ist unter Historikern unbestritten, dass die Sowjetunion der Staat war, der von Hitlers Weltkrieg am stärksten betroffen war. Dort waren über 20 Millionen Kriegstote zu beklagen. ( Nur eine Website, die sich im Auftritt an Wikipedia anlehnt, in Wirklichkeit aber Nazis zitiert, zweifelt daran.) Trotzdem galt die Dankbarkeit im befreiten Westeuropa lange Zeit überwiegend den Amerikanern. Woher dann der Anti-Amerikanismus?

In den 1960er-Jahren war das leicht zu erklären. Der Krieg in Vietnam mobilisierte die Jugend, im Jahr 1968 waren der rettende Kriegseintritt der USA von 1941 und die Invasion der Normandie schon lange her. Einen rechten Anti-Amerikanismus gibt es in Deutschland und Österreich auch schon lange, aber in den letzten Jahren verschärft er sich. Da hat Jörg Haider einiges dazu beigetragen, der mit antisemitischen Codes spielte. Die "Ostküste" war für ihn an so manchem Unheil schuld, den Häupl-Berater Stanley Greenberg – "von der Ostküste" – setzte Haider im Gegensatz zum "Wienerherz". Und natürlich müssen auch die Bilderberger herhalten, deren Treffen erstmals im holländischen Hotel Bilderberg von Prinz Bernhard organisiert wurde. Keine Rede von einer Verschwörung, vielmehr ging und geht es um den transatlantischen Austausch von Gedanken.

So verwenden die einen Anti-Amerikanismus, meinen aber Anti-Semitismus, wobei gerade russische "Ideologen" auch mit einschlägigen Codes spielen. Die anderen wiederum haben Angst davor, dass wir Europäer von einer Weltmacht abhängig sein könnten. Pro-Europa statt Anti-Amerika – das wäre doch was.

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