CSU lockt mit Ausländerthema

Abschied vor der Reise ins „Paradies“: Der Bus fährt von Sofia über Österreich und Deutschland nach London – Bilder wie diese lassen die Briten, aber auch die CSU, einen Ansturm an Arbeitsmigranten befürchten.
Regierungschef Seehofer umwirbt die Bayern mit Härte gegen Sozialmissbrauch.

Wer betrügt, fliegt“. Die Zuspitzung in einem Papier der CSU-Führung für die jährliche Drei-Königs-Klausur ihrer Bundestagsabgeordneten sorgt seit Tagen für das innenpolitische Hauptthema in Deutschland. Darin fordern die Christlich-Sozialen von der Bundesregierung schärfere Kontrollen und Sanktionen gegen Sozialmissbrauch durch Zuwanderer. Vor allem die Armutsflüchtlinge aus Rumänien und Bulgarien stellen bayerische Politiker als potenzielle Gefahr dar. Die siebenjährige Einwanderungs-Beschränkung nach dem EU-Betritt ist für Bürger dieser Staaten zum Jahreswechsel ausgelaufen.

Kaum jemand sonst in Deutschland sieht die Bedrohung so dramatisch. Für viele, auch die Wirtschaft, überwiegen die Vorteile. Auch wenn andere Kommunalpolitiker auch außerhalb Bayerns einräumen, dass die Entwicklung schwer prognostizierbar ist und schon derzeit Probleme verursacht.

Obwohl Bayern durch die schon bisher strengsten Kontrollen aller Bundesländer am wenigsten betroffen ist, will es noch schärfer werden. Zuletzt kündigte Innenminister Joachim Herrmann mehr fliegende Kontrollen im Grenzgebiet zu Tschechien an: Sie sollen illegale Übertritte und den Drogenschmuggel bremsen.

Sperre für EU-Bürger

An Berlin gerichtet, verstärkt die CSU ihre Forderung, EU-Bürger, die beim Erschleichen von Sozialhilfen erwischt werden, nicht nur ausweisen, sondern auch wirksam an der Wiedereinreise hindern zu können.

Die CSU verfolgt mit der von ihr angezündeten Debatte aber mehr als nur sachliche Ziele: Sie will wie bei der Bundestagswahl im September ihre absolute Mehrheit nicht nur im Münchner Landtag sondern auch in vielen Kommunen und bei der Europawahl wiederherstellen. Denn da litt sie bis Seehofers Ankunft als CSU-Chef unter noch stärkerem Schwund: Nicht nur in der Landeshauptstadt und anderen großen Städten wie Nürnberg und Augsburg regieren Sozialdemokraten oder „Freie Wähler“, auch in immer mehr Kleinstädten am Land.

Vor allem die Freien Wähler, oft wegen des Filzes der seit 1946 regierenden CSU abgesprungene Ex-Mitglieder, sind Seehofers Hauptgegner: Ihren bisherigen Wählern gelten seine Sprüche. Sie sollen aber auch verunsicherte der SPD ansprechen, die gerade in München am 16.März bei den Kommunalwahlen um „ihren“ Bürgermeister zittert. Und bei der Europawahl am 25. Mai soll die rechte Euro-kritische „Alternative für Deutschland“ so klein gehalten werden wie zuletzt die FDP.

Gegen diese CSU-Taktik protestierten traditionsgemäß die Grünen als erste, inzwischen distanzieren sich auch die Koalitionspartner in Berlin: Für die SPD sagte Außenminister Frank-Walter Steinmeier, die CSU „schade Deutschland und Europa“, einer seiner Staatssekretäre sprach von „dummen Parolen.“ CDU-Vizechef Armin Laschet betonte den „Gewinn für die Gesellschaft durch Zuwanderer. “

Seehofer aber wies den Vorwurf, er fische am rechten Rand, als „absurd“ zurück: „Ich verlange nur, was im Koalitionsvertrag steht.“

Schwangere, die nach britischer Sozialhilfe gieren, Agenturen für Sozialbetrüger und natürlich berstend volle Busse und Flugzeuge unterwegs in Richtung Insel: Großbritanniens notorisch untergriffige Boulevardzeitungen tischen ihren Lesern seit Tagen Schauergeschichten vom Balkan auf. Eigens nach Bulgarien und Rumänien entsandte Reporter stöbern dort Ausreisewillige auf, die meist nur das eine im Sinn haben: Den britischen Sozialstaat zu plündern.

Dass der Arbeitsmarkt in Großbritannien seit Jahresbeginn auch Rumänen und Bulgaren offensteht, sorgt auf der Insel für wachsende Ängste vor einer neuen Welle von Zuwanderern aus dem Osten Europas. Hatte man noch vor einigen Jahren die große Welle junger Zuwanderer aus Polen und der Slowakei begrüßt, bemüht sich die Politik jetzt, möglichst deutlich Härte gegenüber neuer Zuwanderung zu demonstrieren. Im Eilverfahren hat die Regierungskoalition einige Verschärfungen für Ausländer auf dem Arbeitsmarkt erlassen. So gibt es jegliche Form von Sozialhilfe für ausländische EU-Bürger – vom Wohnkostenzuschuss bis zur Notstandshilfe – erst nachdem diese mindestens drei Monate gearbeitet haben. Bleibt jemand länger als sechs Monate arbeitslos, wird ohnehin alles gestrichen. Das Land, so betont der konservative Premier David Cameron, stehe nur mehr jenen offen, die bereit seien, etwas zu leisten.

Cameron steht massiv unter Druck von mehreren Seiten. Parlamentarier vom rechten Flügel in der eigenen Partei machen immer heftiger Druck, den offenen Zugang zum britischen Arbeitsmarkt zu beschränken. Ganz nach dem Vorbild Österreichs oder Deutschlands, die solche Beschränkungen ja über Jahre aufrecht gehalten haben.

Wohnungs-Krise

Dazu kommt die offen EU-feindliche „Unabhängigkeits-Partei“ UKIP, die Brüssel für die drohende Massenzuwanderung verantwortlich macht und damit bei den EU-Wahlen im Mai sogar an erster Stelle landen könnte. Konservative Lobbying-Gruppen wie etwa Migration Watch liefern dazu die passenden Daten: So müsse alle sieben Minuten eine neue Wohnung in Großbritannien gebaut werden, nur um die Zuwanderer unterzubringen. Dass diese Zuwanderer bisher weit mehr an Steuern bezahlen als sie an Sozialhilfe kassieren, geht in der Flut an negativen Nachrichten unter.

Laut Forschungsinstitut der Bundesanstalt der Arbeit in Nürnberg waren Ende Juni 240.000 Rumänen und 130.000 Bulgaren im Land, 24 Prozent mehr als im Jahr zuvor. Mit diesem Zuwachs rechnet es auch für 2014.

Das renommierte Bonner Institut für die Zukunft der Arbeit hingegen erwartet 2014 allein 200.000 Zuwanderer aus Rumänien und Bulgarien, wovon der größte Teil bitterarme und schwer in den Arbeitsmarkt integrierbare Roma sein dürften.

Noch wenig arbeitslos

Derzeit ist jeder zweite der Zuwanderer von dort angestellt, mit den Selbstständigen steigt die Rate der Selbstversorger auf bis zu 64 Prozent. Dabei gibt es aber viele, die das nur scheinbar sind, weil sie damit rascher Kindergeld für ihre Familien zu Hause bekommen konnten. Die Arbeitslosenquote beträgt offiziell etwa die Hälfte der 14,7 Prozent für die gesamte ausländische Bevölkerung.

Auch beim Bezug von Sozialhilfe („Hartz IV“) liegen Rumänen und Bulgaren derzeit mit 10 Prozent weit unter dem Ausländerschnitt von 16,2 Prozent. Hier erwarten aber alle Forscher starke Steigerungen. Denn bei den Zuwanderern sinkt die Qualifikation: Schon jetzt hat nur ein Drittel eine abgeschlossene Ausbildung, in der Gruppe der Roma sind viele Analphabeten, und damit Deutschkenntnisse kaum erwerbbar.

Das Problem der nun erwarteten Armutszuwanderung ist damit statistisch zwar immer noch nicht gravierend, durch ihre Konzentration auf meist ohnehin arme Kommunen aber krass sichtbar. Vor allem Städte in Nordrhein-Westfalen und Berlin stöhnen schon jetzt.

„Schlimme Zustände“

In der Hauptstadt ist vor allem der Bezirk Neukölln ein Fluchtpunkt für Roma. Dessen Bildungsstadträtin Franziska Giffey (SPD) und ihre Beamten schätzen anhand der Schülerzahlen, dass schon bisher doppelt so viele Rumänen und Bulgaren in Berlin leben als gemeldet sind, also im 310.000-Einwohner-Bezirk über 10.000: „Niemand weiß, wie viele davon Roma sind, wir schätzen: der größte Teil davon.“

Und die meisten kämen, um zu bleiben: In der Heimat gäbe es sieben bis zehn Euro im Monat Kindergeld, in Deutschland 184, so Giffey, die vor Ort recherchierte. Davon könne eine Familie leben, auch wenn die „Zustände oft schlimm“ sind: In Neukölln hausen in Mietskasernen mit 60 Wohnungen 200 Großfamilien, mit Bergen von Müll und Ratten darin. „Wir haben Zwölfjährige, die nicht lesen und schreiben können und daher nie Arbeit finden werden“, so Giffey.

Eine Kollegin aus Duisburg in der Zeitung Die Welt: „Das ist eins zu eins wie bei uns.“

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