"Bei Gott kein Alter zum Sterben"

Die Christen in Mossul hatten die Wahl zwischen Tod durch die Milizen des „Islamischen Staates“ oder Flucht – sie flüchteten in den kurdischen Nordirak.
Ein Pater in Bagdad erzählt von der täglichen Angst der Christen und von der Verfolgung durch den IS.

Herr, die Not unseres Landes ist groß, und das Leid der Christen ist schwer und macht uns Angst." Mit diesen Worten beginnt der irakische Dominikaner-Pater, der aus Sicherheitsgründen nicht namentlich genannt werden will, ein Gebet für sein von Gewalt geschütteltes Land und seine leidenden Landsleute – und, nennen wir ihn Sami, sein Interview mit dem KURIER.

Das Bild der Lage, das der 44-Jährige zeichnet, ist dunkelgrau bis schwarz. 120.000 irakische Christen sind auf der Flucht. In Bagdad, wo Sami seiner Berufung nachgeht, gebe es zwar keine Christenverfolgung, aber das Leben sei schwierig und gefährlich: "Jeden Tag explodieren Autobomben, jeden Tag jagt sich jemand mit einem Sprengstoffgürtel in die Luft und reißt andere mit in den Tod. Jeden Tag werden Menschen entführt und nur für irrwitzige Lösegeldsummen – 100.000 Dollar – wieder freigelassen."

"Weggebombt"

"Bei Gott kein Alter zum Sterben"
Christen Irak
Der Dominikaner Sami setzt nach: "Stellen Sie sich vor, Sie müssen jederzeit in Wien Angst haben, gleich in die Luft gesprengt zu werden. So ist das bei uns. Wann immer du in Bagdad das Haus verlässt, weißt du nicht, ob du wieder lebend nach Hause kommst." Und das schon seit Jahren, denn seit Saddam Husseins Sturz 2003 gebe es kein funktionierendes Sicherheitssystem mehr. "Besonders katastrophal finde ich, dass eine ganze Generation weggebombt wird. Die Friedhöfe bei uns sind voll mit ihnen. Alle zwischen 18 und 30 Jahren – das ist bei Gott kein Alter zum Sterben."

Damit nicht genug, droht nun den 200.000 in Bagdad lebenden Christen Lebensgefahr durch die radikal-islamischen Kämpfer des "Islamischen Staates" (IS), die Andersgläubigen die Kehle durchschneiden oder ans Kreuz nageln (siehe auch nebenstehende Seite). "Sie stehen in einem Dorf gerade einmal 30 Kilometer von Bagdad entfernt – also vor den Toren unserer Stadt. Wir haben Angst", sagt Sami mit weit aufgerissenen Augen. "Es wird furchtbar – vor allem für uns Christen. Das wäre das Ende des Christentums in Bagdad."

Tod oder Flucht

So wie im Raum Mossul im Sommer geschehen. In und rund um die Stadt, wo über Jahrhunderte Christen neben anderen Religionen gelebt haben, gibt es seit der Eroberung durch den IS keine Christen mehr, keine Kirchen, keine Messen. Die Christen in Mossul hatten die Wahl zwischen Tod oder Flucht – alle christlichen Familien wählten die Flucht. Sie konnten sich in den kurdischen Nordirak retten. Sami war dort, als sie kamen. "Sie konnten sich gerade einmal mit dem, was sie am Leib trugen, retten. Ihr Geld, ihr Schmuck, ihre Fahrzeuge, alles ist ihnen weggenommen worden. Es war furchtbar", sagt der Dominikaner und vergräbt sein Gesicht in seinen Händen.

Dann schaut er auf: "Die internationale Gemeinschaft muss handeln. Irgendwelche Armeen müssen der irakischen Armee helfen, die vom IS besetzten Dörfer rund um Bagdad zu befreien." Die Kämpfer des IS seien keine Iraker, sondern eine international aufgestellte Miliz. Daher müsse auch die internationale Gemeinschaft ihre Verantwortung tragen und die Minderheit der Christen schützen. Rasch, drängt Sami: "Es ist eine Frage der Zeit! Im Irak herrscht Alarmstufe rot – und es wird immer schlimmer." Seine Ungeduld ist verständlich: "Der Vormarsch des IS hat im Juni begonnen. Jetzt haben wir November und noch immer die gleiche Situation."

Der Dominikaner wünscht sich auch eine internationale Enquete, bei der folgenden Fragen nachgegangen wird: Wer finanziert den IS? Wer rüstet die Miliz auf? Wer unterstützt sie und macht Jagd auf Christen und andere Minderheiten im Irak? "Und dann muss die internationale Gemeinschaft klarstellen, dass das absolut inakzeptabel ist." Mit Worten und Taten. Und er dankt allen, "die meinem Land und speziell Christen helfen, ein Leben in Würde fortsetzen zu können. Den Glauben können sie uns nicht nehmen."

Spenden erbeten: "Kirche in Not" will mit Notfallprojekten den geflüchteten Christen mit Quartieren und Nahrungsmitteln über den Winter helfen und Schulen errichten. Spendenkonto: IBAN: AT72 6000 0000 9206 5338, BIC: OPSKATWW

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