"Brexit" spaltet die EU-Spitzen

Briten-Premier Cameron und die deutsche Kanzlerin Merkel sind (noch) beste Freunde.
Was passiert, wenn die Briten die EU verlassen: Stärkere Integration oder bleibt alles beim Alten?

Die Gelassenheit, mit der EU-Granden vermeintlich auf Fragen nach einem möglichen Austritt Großbritanniens ("Brexit") reagieren, ist mehr als trügerisch. Das Gegenteil ist der Fall, sie sind hoch nervös. Verzweifelt werden seit Wochen auf verschiedenen politischen Ebenen und an verschiedenen Orten Pläne gewälzt, was zu passieren hat, wenn die Mehrheit der britischen Wähler beim Referendum am 23. Juni der EU "Bye, bye" sagt.

Montagabend war wieder so eine Gelegenheit, über die Zukunft Europas zu reden. Die Elite der Europäischen Christdemokraten und Konservativen traf sich in Luxemburg, um den 40. Geburtstag der Europäischen Volkspartei zu feiern.

Alle waren sie da: Kommissionspräsident Juncker, Bundeskanzlerin Merkel, Ratspräsident Tusk, Fraktionschef Weber, auch ÖVP-Chef Mitterlehner reiste an. Hinter den Kulissen am Gründungsort der EVP wurde viel über Strategien nach einem "Brexit" reflektiert. Eine einheitliche Position hat sich aber noch nicht herauskristallisiert.

Zurzeit gibt es zwei Denkschulen: Die eine, angeführt von Jean-Claude Juncker, sieht bei einem Ausscheiden des Königreiches das Heil nur in einer Vorwärtsstratgie. Das heißt, eine Vertiefung und raschere Integration der übrigen 27 Mitgliedsländer. Dann soll es endlich einen gemeinsamen EU-Außengrenzschutz und ein Zusammenwachsen der Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik geben. Auch an eine stärkere Integration der 19 Euro-Staaten mit gemeinsamem Finanzminister, besser koordinierter Budgetplanung und Steuerpolitik ist gedacht.

Integrationisten

Für diesen Ansatz zeigen Deutschland, Italien und Frankreich Sympathie. Österreich zählte sich bisher ebenfalls zu dieser Gruppe der "Integrationisten".

Ob damit auch Kerneuropa gemeint ist, also die Bildung einer neuen vereinten Europäischen Union mit einer gemeinsamen Politik in allen Bereichen, wird nicht deutlich gesagt. "Kerneuropa" auszusprechen oder das Gebilde zu definieren, wird im Augenblick vermieden.

Die andere Denkschule, angeführt von der niederländischen Regierung, lehnt eine Vertiefung der EU strikt ab. "Hände weg" von einer raschen Integration, heißt es in Den Haag. Bei dem Ausmaß an EU-Skepsis und Ablehnung, die es derzeit in den Mitgliedsländern gibt, wollen die Niederlande keine Experimente riskieren. "Ein Vorpreschen ist jetzt nicht der richtige Weg", sagte der niederländische Finanzminister und Eurogruppen-Chef Jeroen Dijsselbloem. Auf Seite der Niederländer stehen die skandinavischen Länder und wohl auch viele Staaten Osteuropas.

Keine Rosinenpickerei

Stefan Lehne, Experte vom Thinktank "Carnegie-Europe" und ehemaliger österreichischer Spitzendiplomat, weiß eines: Geht das Referendum mit einem Nein zum EU-Verbleib aus, dann "verlieren sämtliche EU-Verträge mit Großbritannien nach zwei Jahren automatisch ihre Rechtswirkung, auch wenn bei den Austrittsverhandlungen noch keine Einigung erzielt worden ist", sagte er zum KURIER.

Für einen "kompromisslosen Austritt" ist ÖVP-Delegationsleiter Othmar Karas. "Wenn die Briten raus wollen, dann müssen sie raus." Er lehnt jegliche Sonderrechte für Briten ab, die dazu führen würden, dass sie "die Vorteile der Mitgliedschaft nutzen, aber nicht die Pflichten erfüllen müssten. Wenn wir das anfangen, dann werden auch Dänen, Ungarn und Polen mit der Rosinenpickerei beginnen."

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