Brexit: Internationale Pressestimmen am Sonntag

Symbolfoto.
"The Observer": EU ist in Todesgefahr - "Schweiz am Sonntag": EU steht für Entmündigung - "Haaretz": Nationaler Separatismus bildet Basis für Brexit-Votum.

Zu den möglichen Folgen des Brexit für die EU schreiben internationale Zeitungen am Sonntag:

The Observer (London):

"Auch die EU steht vor einer höchst unsicheren und instabilen Zukunft. Einige ihrer Führer fürchten eine Ansteckung und befürworten harte Exit-Verhandlungen mit Großbritannien als Abschreckung vor weiteren Austritten. Andere mögen mehr einem Kompromiss zugeneigt sein - wie Angela Merkel, nicht zuletzt wegen des Wertes des britisch-deutschen Außenhandels.

Doch trotz feierlicher Erklärungen von EU-Führern, dass Europa seine Lektion aus dem britischem Votum lernen, die demokratischen Defizite angehen und besser für seine Bürger agieren werde, gibt es kaum Anzeichen für ernsthafte Bemühungen, die Funktionsweise der Union zu reformieren. Das muss sich ändern. Wenn die EU sich nicht grundlegend verändert, stehen extreme Nationalisten und Ausländerfeinde bereit, diese Arroganz für ihre Zwecke auszunutzen.

Die EU - wahrscheinlich die größte Errungenschaft der Nachkriegsära - ist in Todesgefahr. Ihr Zusammenbruch und das darauf folgende gefährliche Chaos könnten sich noch als die verheerendste Folge des Brexit-Hurrikans erweisen."

Schweiz am Sonntag:

"Der Satz irritiert. 'Wir lassen uns Europa nicht nehmen', sagte der deutsche Außenminister Frank-Walter Steinmeier gestern beim Brexit-Treffen der sechs EU-Gründerstaaten Deutschland, Frankreich, Italien, Belgien, Holland und Luxemburg. Ja, wem gehört denn Europa? Wer ist berechtigt zu sagen, ihm werde etwas weggenommen, wenn die Briten frei entscheiden, aus der EU auszutreten?

Irritierend ist auch eine Schlagzeile in der 'Frankfurter Allgemeinen Zeitung': 'Großbritannien kehrt Europa den Rücken.' Liegt London nicht mehr in Europa? Die Gleichsetzung der EU mit Europa ist Propaganda, der zumindest die Schweizer nicht verfallen sollten. (...)

Denn Europa steht für Vielfalt. Die EU aber steht zunehmend für Vereinheitlichung und Entmündigung. Heinrich August Winkler, der wichtigste deutsche Historiker unserer Zeit, schreibt, ein Grund für die EU-Krise sei die 'pseudoreligiöse Überhöhung' des EU-Integrationsprojekts. Es tut dieser EU darum gut, wenn die Briten die Religionsführer in Brüssel, Berlin und Paris auf den Boden der europäischen Realität holen."

Haaretz (Tel Aviv):

"Nationale und nationalistische Tiefenströmungen, eine separatistische Ideologie, Rassismus und das Streben, sich von einem von syrischen Flüchtlingen überschwemmten Europa zu trennen, sowie der Unwille, weiter an internationalen militärischen Aktionen teilzunehmen - all dies bildet die gedankliche und kulturelle Basis für den Ausgang des Votums.

Diese Basis besteht allerdings nicht nur in Großbritannien, sondern gegenwärtig in den meisten europäischen Ländern. Auch die USA sind vor den Ideen des nationalen Separatismus nicht gefeit - dem Bestreben, die größte Supermacht von der Einmischung in internationale Krisen fernzuhalten, und Tendenzen des Rassismus und Fremdenhasses, die sich allein in der Kandidatur einer Figur wie Donald Trump für das Präsidentenamt manifestieren."

La Repubblica (Rom):

"Auch wenn die Börsen mehr als beunruhigende Signale abgegeben haben, ist niemand in der Lage, die Brexit-Folgen zu ermessen. Es ist sicher, dass die Konsequenzen groß und weitreichend sein werden, sowohl im Vereinigten Königreich als auch in der EU. Man könnte sogar sagen, das Ergebnis des britischen Referendums droht, das Königreich weniger vereint zu hinterlassen. Außerdem lässt es einmal mehr daran zweifeln, dass die EU wirklich eine Union ist. (...) Es wäre allerdings gefährlich, sich nur auf die britischen Besonderheiten zu konzentrieren und aus dem Blick zu verlieren, dass der Brexit unterm Strich eine riesige Zerstörung für Europa ist. Es ist nämlich auch wahr, dass das Ausbremsen oder gar der Rückgang des Prozesses der Integration nicht nur mit London zusammenhängt (...) und dass er Tendenzen aufzeigt, die sich jenseits des Ärmelkanals immer weiter verbreiten."

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