Blitzbesuch von Kurz bei Poroschenko

Anregendes Gespräch zwischen Sebastian Kurz und Petro Poroschenko im März dieses Jahres in Kiew
Außenminister Sebastian Kurz reist am Montag nach Kiew und trifft den ukrainischen Präsidenten.

KURIER: Herr Außenminister, Sie haben die Nase vorne und treffen vor Bundeskanzler Faymann, der ebenfalls eine Friedensmission starten will, in Kiew ein. Ist das ein Friedenswettlauf?

Sebastian Kurz: Ich bin eng mit dem Bundeskanzler abgestimmt, wir ziehen an einem Strang. Das Treffen mit Poroschenko, Außenminister Pawlo Klimkin und den aussichtsreichen Premierministerkandidaten Wladimir Groisman ist seit längerem geplant. Es geht um drei Ziele: Den derzeitigen Waffenstillstand als Chance zu nutzen, die OSZE (Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa, Anm.) muss diesen Stillstand fixieren. Dazu schickt Österreich weitere Beobachter und Überwachungsdrohnen. Zweitens wollen wir die Verfassungsreform unterstützen, um eine Dezentralisierung zu erreichen. Dafür bieten wir Experten an. Drittens will Österreich die besonnenen Kräfte stärken, angesichts der Aussagen über den Mauerbau.

Poroschenko reist nächste Woche in die USA. Er erwartet sich von seiner Amerika-Reise einen NATO-Sonderstatus für die Ukraine. Ist das sinnvoll?

Die Ukraine würde besser fahren wenn sie sich nicht zu einer NATO-Mitgliedschaft hinreißen ließe. Die Ukraine hat ein Sicherheitbedürfnis‚ ein Liebäugeln mit einem NATO-Beitritt würde aber eher zusätzliches Öl ins Feuer gießen als dass es hilfreich wäre.

Wie erklären Sie Österreichern, die von den Sanktionen bereits durch Kurzarbeit oder Arbeitslosigkeit betroffen sind, die Strafmaßnahmen?

Bundeskanzler Faymann und die Staats- und Regierungschefs haben diese Sanktionen beschlossen, weil sie der russischen Aggression nicht zusehen wollen. Der Grund für die schwierige wirtschaftliche Situation vieler Unternehmer in Europa sind derzeit weniger die Sanktionen und Gegensanktionen, sondern die durch die Krise verursachte schlechte Wirtschaftslage in Russland und der niedrige Rubelkurs.

Die Sanktionen sind auch von den Außenministern beschlossen worden. Die Regierungschefs sind schuld an den Sanktionen?

Nein, das ist keine Schuldfrage. Die Entscheidung tragen wir Außenminister selbstverständlich mit. Der Dreistufen-Plan und die dritte Stufe der Sanktionen sind von den Staats- und Regierungschefs beschlossen worden. Das ist ein Faktum. Es gab Diskussionen über das Timing. Manche sagten, es sei nicht ideal, die nächste Sanktionsstufe während eines Waffenstillstandes zu beschließen. Bei den Sanktionen haben die Staats- und Regierungschefs auch die Verantwortung, besonnen vorzugehen, damit man sich nicht selbst ins Knie schießt.

Gibt es für Sie eine Schmerzgrenze bei den Sanktionen?

Das ist keine Entscheidung der Außenminister. Unsere Aufgabe ist es jetzt darum, den Waffenstillstand gut abzusichern. Das tut die OSZE, Österreich ist auch bereit, die OSZE mit mehr Personal zu unterstützen.

Ukraines Regierungschef Jazenjuk sagt, dass Russland die Auslöschung des ukrainischen Staates zum Ziel hat. Müsste die EU dann nicht viel schärfer gegen Russland vorgehen?

Ich hoffe, dass dies nicht das geplante Ziel Russlands ist. Wir erleben, dass Russland die Krim annektiert hat, russische Soldaten im Osten im Einsatz sind und die Separatisten mit Waffen beliefert werden. Das ist klar völkerrechtswidrig. Viele Schritte Russlands waren in den vergangenen Monaten nicht vorhersehbar. Es bringt nichts, die Dinge noch stärker zu dramatisieren als sie ohnedies schon sind.

Was bietet die Europäische Union Russland an?

Das Assoziierungsabkommen der Ukraine mit der EU ist Russland ein Dorn im Auge. Russland muss in diese Verhandlungen eingebunden werden, um eine weitere Eskalation zu vermeiden.

Drei Wochen nach der ersten umstrittenen Hilfslieferung in die Ostukraine haben Lastwagen eines zweiten russischen Konvois die Grenze passiert. Zunächst sei eine Kolonne nach der Abfertigung durch Zoll und Grenzschutz in die Ukraine gefahren, sagte ein Sprecher der südrussischen Zollbehörde am Freitagabend der Agentur RIA Nowosti. Der Sender Rossija 24 berichtete aus der Region Rostow in Südrussland, der gesamte Konvoi bestehe aus mehr als 300 Lastwagen und werde im Laufe des Samstag die Grenze erreichen. Die Lkw hätten 2000 Tonnen Hilfsgüter geladen, darunter Lebensmittel, Medikamente, Diesel, Stromgeneratoren und Decken.

Eine Stellungnahme aus Kiew lag zunächst nicht vor. Die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) hingegen meldete, der Konvoi wurde weder vom ukrainischen Grenzschutz und Zollbeamten noch vom Internationalen Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) inspiziert. Die erste Gruppe sei "schnell" von den russischen Grenzschutz- und Zolldiensten überprüft worden, so die OSZE. 180 weitere Fahrzeuge seien überhaupt nicht untersucht worden.

Gerangel um Hilfsgüter

Moskau hatte Mitte August einen ersten Hilfskonvoi ohne Zustimmung der ukrainischen Regierung in die von prorussischen Rebellen kontrollierten Gebiete geschickt. Die Lastwagen hatten tagelang an der Grenze festgesteckt und erst am 22. August ihr Ziel erreicht. Die Ukraine und die Europäische Union verurteilten das eigenmächtige Vorgehen Russlands damals.

Eine Vereinbarung zwischen Kiew und den Separatisten vom vorvergangenen Freitag über eine Waffenruhe sieht vor, die notleidende Bevölkerung in Donezk und Luhansk (Lugansk) mit humanitärer Hilfe zu versorgen. Moskau hatte nach dem Zustandekommmen der Vereinbarung angekündigt, einen neuen Hilfskonvoi in die Ostukraine zu schicken.

Neue Gefechte

Doch ungeachtet der Waffenruhe sind am Samstag offenbar neue Kämpfe aufgeflammt. In der Nähe des Flughafens von Donezk war heftiges Artilleriefeuer zu hören und eine schwarze Rauchsäule stieg über dem Gebiet auf, wie ein Reporter vor Ort berichtete. Das ukrainische Militär hat den Flughafen unter Kontrolle, während die Stadt selbst in der Hand pro-russischer Separatisten ist. Die ukrainische Armee war in der Nacht nach eigenen Angaben in der Gegend um den Flughafen unter Beschuss von Rebellen geraten. Die jüngste Entwicklung ließ die Waffenruhe so brüchig werden wie kaum zuvor in den vergangenen Tagen.

Jazenjuk: "Immer noch in Phase des Krieges"

Der russische Präsident Wladimir Putin habe das Ziel, die Ukraine als unabhängigen Staat zu zerstören und die Sowjetunion wiederherzustellen, sagte der ukrainische Ministerpräsident Arseni Jazenjuk am Samstag in seiner Rede auf einer Konferenz in Kiew. "Wir sind immer noch in einer Phase des Krieges und der Schlüsselaggressor ist die Russische Föderation ... Putin will einen weiteren eingefrorenen Konflikt (im Osten der Ukraine)."

Trotz der geltenden Waffenruhe wolle Putin "die Ukraine als unabhängigen Staat eliminieren", so Jazenjuk. "Sein (Putin, Anm.) Ziel ist es, die gesamte Ukraine einzunehmen ... Russland ist eine Bedrohung für die globale Ordnung und die Sicherheit für ganz Europa."

Österreichische Drohnen im Einsatz

Der ukrainische Präsident Petro Poroschenko hat zur Überwachung der Waffenruhe in der Ostukraine nun den Einsatz von Drohnen erlaubt. Das teilte das Präsidialamt in Kiew nach einem Telefonat Poroschenkos mit dem Vorsitzenden der OSZE, Didier Burkhalter, am Samstag mit. Auch österreichische Drohnen werden im Einsatz sein.

Dazu wurde ein Vertrag mit der österreichischen Firma Schiebel geschlossen. "Der Camcopter ist nicht bewaffnet und wird nie bewaffnet werden. Er wurde allein entworfen und gebaut als Plattform für Aufklärung und Überwachung", so die OSZE. "Es ist das erste Mal, dass wir Technologie und Ausrüstung dieser Art in unserer Arbeit im Einsatz haben."

Die Drohen sollen die Beobachter der OSZE-Sonderüberwachungsmission in der Ukraine (SMM) unterstützen, jedoch nicht ersetzen. Diese Technologie soll es der OSZE ermöglichen, größere Flächen zu überwachen und Informationen in "Echtzeit" in einem unsicheren Umfeld zu sammeln. Die OSZE entscheidet, ob diese auch der Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt werden.

Burkhalter sagte, die OSZE werde die unbemannten Fluggeräte bald einsetzen. Der Präsident und der OSZE-Chef sprachen zudem über eine Vergrößerung des Beobachterteams im Konfliktgebiet.

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