Badawis Ehefrau: "Nächsten Freitag gibt es 50 Hiebe"

Ein Bild aus glücklichen Tagen: Raif Badawi mit seiner Tochter Najwa. Das Ehepaar hat insgesamt drei Kinder. Seit der Auspeitschung ihres Vaters sind sie schwer traumatisiert
Ensaf Haidar flüchtete mit ihren drei Kindern aus Saudi-Arabien. Der KURIER erreichte die Frau des Bloggers in Kanada.

Seit Oktober 2013 lebt Ensaf Haidar (35) in der Nähe von Montreal, aber mit dem Herzen ist sie im Gefängnis in Jeddah. Seit zwei Jahren und acht Monaten sitzt ihr Mann, Blogger Raif Badawi (31) aus Saudi-Arabien, hinter Gefängnismauern, verurteilt zu 1000 Hieben und 10 Jahren Haft, weil er sich auf seinem Internet-Blog für Menschenrechte und interreligiösen Dialog starkmachte. Die erste Vollstreckung der Strafe mit jeweils 50 Schlägen über 20 Wochen hindurch fand am 9. Jänner statt. Seither wird der Protest gegen Saudi-Arabien weltweit immer größer. Der KURIER kam via Facebook mit Ensaf Haidar in Kontakt. Sie spricht kaum Englisch. Mit Hilfe einer Arabisch-Dolmetscherin gelang das Interview.

KURIER: Frau Ensaf Haidar, am Freitag wurde die zweite Auspeitschung Ihres Mannes neuerlich aufgeschoben. In Deutschland gab es Meldungen, dass die Strafe aufgehoben werden könnte. Haben Sie Hoffnung?

Badawis Ehefrau: "Nächsten Freitag gibt es 50 Hiebe"
Ensaf Haidar (li.)  nutzt jede Chance,  um für ihren  inhaftierten Mann  zu kämpfen: „Ich will meine Stimme überall hintragen, in die ganze Welt“
Ensaf Haidar: Ich hoffe es, dass die Auspeitschung gestoppt wird, allerdings denke ich, dass die Chancen gering sind. Ich habe die Meldung aus Deutschland auch gehört, aber der Botschafter Saudi-Arabiens hat bei seinem Statement betont, dass die Auspeitschung nur diese Woche nochmals ausgesetzt wurde. Ich habe am Freitag mit einem der Gefängnisärzte sprechen können. Er ist überzeugt, dass es kommenden Freitag die nächsten 50 Hiebe gibt. Von einem generellen Stopp wusste er nichts.

Hat Ihnen der Gefängnisarzt Informationen über den Gesundheitszustand geben können?

Raif geht es sehr, sehr schlecht. Seit seiner Verhaftung vor zwei Jahren und acht Monaten, hat sich seine Gesundheit verschlechtert. Er entwickelte Diabetes als er festgenommen wurde. Ich habe Angst, dass seine Wunden wegen der Diabetes nicht heilen. Er hat Probleme mit seinem Herzen. Im Bericht steht, dass er Bluthochdruck hat. Raif leidet auch unter unhygienischen Haftbedingungen und Unterernährung.

Waren Sie sich der Gefahr, die Ihr Mann als Blogger einging, bewusst?

Nein, absolut nicht. Wir waren uns beide der Gefahr nicht bewusst. Denn mein Mann ist kein Islamkritiker. Wir begreifen es bis heute nicht, wie es zur Verhaftung und Verurteilung kommen konnte. Raif hat niemals in seinem Blog Kritik an islamischen Symbolen geübt.

Wie kam es zur Verhaftung?

Es gab nie Probleme mit den Behörden, seine Kritik wurde geduldet. Sie war auch immer ganz höflich und vorsichtig. Das änderte sich 2008. Raif erhielt eine Reihe von Drohungen von Extremisten. Federführend war der konservative Imam Abdul Rahman al-Barrak. Er bezeichnet Raif als einen Abtrünnigen, der ein Ungläubiger ist. Er sammelte auch 100 Unterschriften von anderen konservativen Geistlichen, die bestätigten, dass Raif vom Glauben abgekommen war. Der Imam belegte Raif mit einer Fatwa. 2008 wurde ein Reiseverbot über Raif verhängt. Mein Mann hoffte, dass er er in friedlicher Art und Weise mit den Beamten die Probleme aus der Welt schaffen kann, und das Reiseverbot aufgehoben wird.

2012 wurde er dann verhaftet ...

Die Nachricht von seiner Verhaftung war sehr schockierend für mich, und es gab viele Fragen in meinem Kopf, vor allem , weil ich in dieser Zeit nicht bei ihm war.

Warum waren Sie nicht bei ihrem Mann?

Ich hatte Angst um die Kinder und mich. Seit vier Jahren lebe ich mit unseren Kindern nicht mehr in Saudi-Arabien. Zuerst flüchteten wir in den Libanon. Meine Familie unterstützt mich seither. Obwohl Raif und ich uns noch lieben, verlangte meine Familie die Scheidung von Raif. Da dies der einzige Weg wäre, um mich und die Kinder zu schützen. Mein Leben hat sich seit unserer Flucht um 180 Grad verändert. Ich erlebe einen täglichen Albtraum.

Sie haben Raif nie im Gefängnis besucht?

Nein. Ich traue mich nicht, nach Saudi-Arabien zu fliegen.

Wurden auch Sie bedroht?

Ja, natürlich, ich wurde auf verschiedene Weise bedroht. Ich erhielt auch Drohungen im Libanon, sie würden meine Kinder entführen, und gewaltsam nach Saudi-Arabien bringen. Das war kurz bevor ich nach Kanada kam, wo ich nun dauerhaft wohne.

Wie geht es Ihren drei Kindern? Stimmen die Medienberichte, dass Ihre Kinder die Auspeitschung Ihres Vaters im TV gesehen haben?

Das stimmt. Sie sind seither traumatisiert und in psychologischer Behandlung. Sie leiden unter Schlafstörungen und kommunizieren kaum mehr.

Wie kam es dazu, dass die Kinder die TV-Bilder sahen?

Auf diese Frage möchte ich nicht antworten.

Haben Sie Kontakt mit Raif?

Ich darf mit Raif täglich drei Minuten telefonieren. Wir reden meistens über die Kinder. Er möchte wissen, wie es ihnen geht. Mein Mann liebt seine Kinder sehr. Ich habe Raif von den weltweiten Protesten erzählt, das gibt ihm Hoffnung hinter Gittern. Er hofft, dass durch den Druck die Strafe aufgehoben wird.

Wie lief die Gerichtsverhandlung ab?

Ich vergleiche Raifs Gerichtsverhandlung mit der Inquisition, die in Europa im dunklen Mittelalter stattfand. Eine Person nur wegen seiner Meinung zu töten, ist das wirkliche Verbrechen.

Welche Reaktion hat das Urteil in Saudi-Arabien ausgelöst?

Das Urteil hat auch in Saudi-Arabien Debatten ausgelöst. Der Willen zur Freiheit im Land wächst. Als der Richter zu Raif sagte "wir werden dich töten ", reagierte Raif mit einem breiten Lächeln und dem Victory-Zeichen.

Vor wenigen Tagen starb König Abdullah. Haben Sie Hoffnung, dass der neue König einen Akt der Menschlichkeit setzt und Ihren Mann begnadigt?

Ich kenne ihn nicht. Aber ich hoffe, dass er Milde zeigt, eine Amnestie für Raif erlässt, und mein Mann nach Kanada ausreisen kann.

In Wien gibt es ein König Abdullah-Zentrum für Interreligiösen Dialog. Macht so ein Zentrum überhaupt Sinn?

Ich bedanke mich bei allen, die sich für die Schließung des Zentrums einsetzen. Ich denke, dass das Abdullah- Zentrum für Interreligiösen Dialog keinen Sinn macht, wenn in Saudi-Arabien selbst Muslime derart unmenschlich behandelt werden.

Was wünschen Sie sich für die Zukunft?

Ich wünsche mir, dass es eines Tages eine Verfassung , ein Parlament und die absolute Freiheit in Saudi Arabien gibt. In den letzten Jahren hat sich das Klima verschlechtert, vor allem wenn es um Meinungsfreiheit geht. Und es gibt immer mehr politische Gefangene.

Wenn Sie an Ihren Mann denken, was fühlen Sie da?

Ich bin so stolz auf ihn. Aber genauso groß wie mein mein Stolz, ist auch meine Angst, dass er stirbt. Ich werde solange kämpfen, bis er zu mir nach Kanada kommen, und ich ihn wieder in die Arme schließen kann. Ich will nichts mehr als das. Das würde auch Raif für mich machen.

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