Geiselnahme in Sydney: Eine Stadt trauert

"Verwirrter Einzeltäter" hatte 17 Menschen in seiner Gewalt - zwei Geiseln und der Täter starben bei der Befreiung.

Nach fast 16 Stunden Ungewissheit beendeten schwer bewaffnete Spezialkräfte das Geiseldrama in einem Cafe in Sydney gewaltsam: Ein Mann hatte sich mit 17 Menschen in einem Café in der Innenstadt der australischen Metropole verschanzt - Polizisten stürmten das Lokal, dabei wurden der Geiselnehmer und zwei Geiseln getötet sowie vier Menschen verletzt. Explosionen und Schreie waren zu hören, als der Einsatz in dem Cafe des Schweizer Schokoladenherstellers Lindt begann.

Blumen überall

Geiselnahme in Sydney: Eine Stadt trauert
Members of the public stand behind a note that can be seen amongst floral tributes that have been placed near the cafe where hostages were held for over 16-hours, in central Sydney December 16, 2014. Heavily armed Australian police stormed a Sydney cafe early on Tuesday morning and freed a number of hostages being held there at gunpoint, in a dramatic end to a 16-hour siege in which three people including the attacker were killed. REUTERS/David Gray (AUSTRALIA - Tags: CIVIL UNREST POLITICS)

Gestorben sind auch der 34 Jahre alte Manager des Cafes sowie eine 38-jährige Anwältin und Mutter von drei kleinen Kindern - ob sie durch den Geiselnehmer oder Schüsse der Polizei ums Leben kamen, ist unklar. Am Tatort entstand am Dienstag spontan ein Gedenkstätte für die Opfer. Zahlreiche Passanten legten im Geschäftsviertel der australischen Metropole Blumen nieder, in der ganzen Stadt herscht Trauer. Der Nationalspruch "no worries" - keine Sorge - scheint in Australien nicht mehr zu gelten.

Australiens Regierungschef Tony Abbot am frühen Dienstagmorgen (Ortszeit) die Geiselnahme als "schreckliches Ereignis" bezeichnet. Es sei "unbeschreiblich tragisch", wenn Menschen beim Betreten eines Cafes in einen derart "entsetzliches Ereignis" hineingezogen würden. Er und seine Frau legten am Tatort Blumen für die Opfer nieder.

Weihnachtsstimmung ade: Einen Augenzeugenbericht aus Sydney lesen Sie hier.

Bilder des Einsatzes

Geiselnahme in Sydney: Eine Stadt trauert

AUSTRALIA CAFE SIEGE
Geiselnahme in Sydney: Eine Stadt trauert

Video grab shows a man standing behind the window
Geiselnahme in Sydney: Eine Stadt trauert

Video grab shows hands pressed up against the wind
Geiselnahme in Sydney: Eine Stadt trauert

AUSTRALIA SYDNEY CAFE SIEGE
Geiselnahme in Sydney: Eine Stadt trauert

AUSTRALIA SYDNEY CAFE SIEGE
Geiselnahme in Sydney: Eine Stadt trauert

AUSTRALIA SYDNEY SIEGE
Geiselnahme in Sydney: Eine Stadt trauert

Video grab shows a black flag with white Arabic wr
Geiselnahme in Sydney: Eine Stadt trauert

AUSTRALIA SYDNEY CAFE SIEGE

"Selbst ernannter Scheich"

Geiselnahme in Sydney: Eine Stadt trauert
epa04530312 A picture made available 15 December 2014 shows Muslim cleric Man Haron Monis arriving to the Downing Centre after a pre-trial hearing of his case, in Sydney, Australia, 18 April 2011. According to news reports on 15 December 2014 citing police, Man Haron Monis has allegedly been identified by police as the hostage-taker at a cafe in downtown Sydney, Australia. A number of hostages were being held inside a Lindt cafe, after witnesses reported gunshots and footage showed an Islamist flag held up to the window. EPA/DEAN LEWINS AUSTRALIA AND NEW ZEALAND OUT

Über die Motive des Täters herrscht nach wie vor keine Klarheit. Gewiss ist aber: "Es war die Tat eines Einzelnen", sagte Polizeikommissar Scipione. Es soll sich bei dem Täter um einen Iraner namens Man Haron Monis handeln - dessen Rechtsanwalt Manny Conditsis sagte, man könne sicher sein, dass es sich nicht um die Tat einer islamistischen Gruppe handle. Es handle sich um einen "zufälligen Einzeltäter". "Das ist keine konzertierte terroristische Handlung, es ist eine irregeleitete Person, die etwas Abscheuliches getan hat."

Der gebürtige Iraner zwang seine Opfer, Angstbotschaften zu verbreiten – ein 19-jähriger musste etwa beim Daily Telegraph anrufen: "Ich hatte eine Flinte am Kopf. Wenn noch einer rennt, stirbt einer". Der 50-Jährige zwang mehrere Geiseln dazu, Videobotschaften mit Flaggen mit dem muslimischen Glaubensbekenntnis aufzunehmen und auf Youtube hochzuladen.

Der 50-jährige Iraner habe eine lange Geschichte von gewalttätigen Verbrechen, bestätigte auch Premier Tony Abbott. Er sei "von Extremismus besessen" und psychisch labil gewesen. "Er hüllte seine Aktion in Symbole des IS-Totenkults", sagte Abbott unter Verweis auf die IS-Terrormiliz - während der Geiselnahme soll er nach einer IS-Flagge verlangt haben. Die Zeitung The Australian nannte Monis einen "selbst ernannten Scheich", der beleidigende Briefe an Angehörige toter Soldaten geschickt habe. Der Mann lebte seit dem Jahr 1996 als Flüchtling in Australien und wurde beschuldigt, Komplize bei der Ermordung seiner Ex-Frau gewesen zu sein. Der Iraner hatte zudem eine eigene Wikipedia-Seite.

Dschihadismus: Wie die Lage in Österreich derzeit ist, lesen Sie hier.

Außenministerium geräumt

Der Vorfall löste Terrorangst in Australien aus. Das Lindt-Cafe war den ganzen Tag von schwer bewaffneten Polizisten umstellt, umliegende Gebäude wurden evakuiert, die U-Bahn geschlossen. In dem Geschäftsviertel liegen das Parlament des Bundesstaates New South Wales und die Zentralbank. An der nahe gelegenen Oper wurde ein Konzert abgesagt. Hunderte Polizisten waren im Einsatz. Das australische Außenministerium in Canberra ist wegen eines verdächtigen Pakets evakuiert worden – es hat sich aber als harmlos erwiesen, wie die Polizei mitteilte.

Der Ort des Geschehens

Aus Sorge vor anti-muslimischen Ressentiments infolge der Geiselnahme haben Einwohner von Sydney eine Solidaritätsaktion mit ihren islamischen Mitbürgern gestartet. Über den Kurznachrichtendienst Twitter boten am Montag zahlreiche Menschen Muslimen mit religiöser Kleidung an, sie auf in öffentlichen Verkehrsmitteln zu begleiten.

Während die Geiselnahme eines mutmaßliche Jihadisten in der Innenstadt von Sydney noch im Gange war, wurden am Montag auf Twitter fast 120.000 Tweets unter dem Hashtag #illridewithyou gepostet. Den Anfang hatte eine junge Frau gemacht, die per Twitter schilderte, wie eine junge Muslimin vor dem Aussteigen aus dem Zug ihr Kopftuch herunternahm. Als sie daraufhin der Frau anbot, sie zu begleiten, sei diese in Tränen ausgebrochen und habe sie umarmt. Binnen weniger Stunden wurde aus der persönlichen Erfahrung eine Kampagne für Toleranz gegenüber Muslimen.

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