Al-Sisi: "Ohne Aufschwung keine Meinungsfreiheit"

Ägyptens Regierung unter Präsident al-Sisi fürchtet neue Unruhen – entsprechend groß ist die Militärpräsenz im Land am Nil.
Außenminister Kurz in Ägypten: Die heikle Balance zwischen offener Kritik und Suche nach Zusammenarbeit.

Es gab einiges Unangenehmes zu besprechen. Das jüngst erfolgte Todesurteil für den ehemaligen Präsidenten Mohammed Mursi, die Massenprozesse gegen Regimegegner, die Zensur in den Medien. Österreichs Außenminister Sebastian Kurz war immerhin der erste hochrangige EU-Vertreter, der nach dem Todesurteil gegen den Islamisten Mursi zum Besuch bei Ägyptens Staatspräsidenten al-Sisi und dessen Außenminister in Kairo antrat. Er hatte daher quasi die offizielle Verurteilung aus Brüssel im Gepäck. "Man hat meine Kritik nicht nur wahr-, sondern auch ernst genommen", gab sich Kurz nach den beiden Treffen zumindest über die Offenheit und Kritikfähigkeit seiner Gesprächspartner positiv überrascht.

Tatsächliches Verständnis für diese "europäische Sichtweise", wie es der Präsident formulierte, aber macht sich in dem 2013 nach einem Militärputsch in Ägypten installierten Regime nur sehr spärlich bemerkbar.

Massenverhaftungen

Al-Sisi, 2014 schließlich mit großer Mehrheit gewählt, geht gegen liberale Regimekritiker, viel härter aber noch gegen die islamistische Partei der Muslimbrüder, deren Führer ja Mursi war, vor. Massenverhaftungen und Todesurteile dutzendfach – auch wenn die vorerst nicht vollstreckt werden – sind politischer Alltag in Ägypten. Der Präsident stellt das als Teil eines Kampfes dar, gegen islamistischen Terror, aber auch für Ruhe und Ordnung.

An der Kippe zu Unruhen

Denn politisches Chaos, das ist in Ägypten nach den Jahren des Arabischen Frühlings und seiner gewaltsamen Konsequenzen für viele das wichtigste Ziel. "Entweder wir gewinnen oder das Chaos, so sehen das die Machthaber", skizziert ein österreichischer Kenner des politischen Ägypten die Haltung des Regimes: "Die sehen sich hier an der Kippe zu neuen Unruhen, zu einem neuen Umsturz."

Ganz ähnlich, wenn auch nicht ganz so drastisch, stellen das die Gastgeber gegenüber dem österreichischen Außenminister dar. Für ein Land wie Ägypten, das islamistischen Terror und politisches Chaos in Libyen quasi als Nachbarn habe, sehe das Problem mit radikalen Islam doch ein wenig anders aus, machte al-Sisi gegenüber Kurz deutlich. Deutlich wurde auch Außenminister Shoukry vor der Presse: "Man muss die Selbstständigkeit anderer Länder respektieren und sich nicht einfach einmischen. Es gibt keinen Bedarf an Kritik."

Hoffen auf Touristen

Doch Brücken abzubrechen in Richtung Europa, das kann sich das vor allem wirtschaftlich schwer angeschlagene Ägypten derzeit nicht leisten. Also erfuhr auch der Außenminister bei seinem Besuch vom Wunsch des Präsidenten nach mehr wirtschaftlicher Zusammenarbeit, mehr Investitionen und natürlich mehr Touristen aus Europa. "Ohne wirtschaftlichen Aufschwung und ohne Bildung keine Meinungsfreiheit", rückte der Präsident gegenüber Kurz seine Prioritäten zurecht.

Tatsächlich steht al-Sisi vor allem vor einer Herausforderung in seinem Land: Der Armut seiner fast 90 Millionen Einwohner, von denen immer noch 30 Prozent nicht lesen und schreiben können. Brot- und Benzinpreise, sauberes, leistbares Wasser, das sei für die Ägypter entscheidend, nicht der Umgang mit den Menschenrechten, bringen politische Beobachter die Strategie der Regierung auf den Punkt.

Der Gast aus Österreich und mit ihm die ganze EU suchen in Ägypten dagegen vor allem einen Partner im Kampf gegen die Terrormiliz IS, gegen das Chaos in Libyen und damit auch gegen die nicht abreißende Flüchtlingswelle über das Mittelmeer. Ohne Stabilität im bevölkerungsreichsten arabischen Land gibt es keinen Frieden in der Region, das weiß man auch in Brüssel.

"Menschenrechte sind ein wichtiger Beitrag zu dieser Stabilität", versucht der Außenminister immer wieder seine Botschaft an die Gastgeber zu bringen. Doch Stabilität sieht für einen General im Präsidentenamt in Kairo eben anders aus, als es die Europäer gerne hätten. "Er ist nicht perfekt, aber wo ist die Alternative?", hatte Kurz sich schon bei der Abreise das Urteil eines befreundeten EU-Außenminister über Al-Sisi ausgeborgt. Und für den islamistischen Brandherd im Irak, in Syrien und auch in Libyen muss man wohl vorerst mit diesem nicht perfekten Partner arbeiten. "Jeder Erfolg gegen den IS-Terror", bringt der Außenminister Österreichs und Europas Eigeninteressen auf den Punkt, "lässt auch weniger Menschen über das Mittelmeer nach Europa flüchten."

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