Al-Kaida-Ableger droht mit weiteren Anschlägen in Frankreich

Al-Kaida-Ableger droht mit weiteren Anschlägen in Frankreich
Nach dem Massaker bei "Charlie Hebdo" sind Geiselnahmen beendet. Die drei Terroristen starben. El Kaida könnte hinter Anschlag stehen.

Nach den Anschlägen von Islamisten im Großraum Paris hat der Ableger des Terrornetzwerks Al-Kaida auf der Arabischen Halbinsel (AQAP) mit weiterer Gewalt in Frankreich gedroht. "Ihr werdet nicht mit Sicherheit gesegnet sein, so lange ihr Allah, seinen Verkünder und die Gläubigen bekämpft", sagte ein ranghoher Vertreter der AQAP in einem Video. Dieses wurde am Freitag von dem auf die Beobachtung islamistischer Websites spezialisierten US-Unternehmen SITE veröffentlicht. Die beiden Brüder Cherif und Said Kouachi, die den Anschlag auf die französische Satirezeitung "Charlie Hebdo" verübten, sollen Verbindungen zur AQAP gehabt haben.

Frankreich gehöre zu den führenden Kräften des Unglaubens, heißt es im Video. "Es beleidigt die Propheten, setzt die Religion herab und bekämpft die Gläubigen." Das gut fünf Minuten lange Video wurde laut SITE am Freitag ins Internet gestellt - wenige Stunden, nachdem Cherif und Said Kouachi von der Polizei getötet worden waren.

Dramatisches Ende der Geiselnahme

Die Polizei stürmte eine Druckerei nördlich von Paris und einen koscheren Minimarkt im Osten der Stadt. Im Kugelhagel fanden die beiden Terroristen, die am Mittwoch in der Redaktion von Charlie Hebdo zwölf Menschen ermordet hatten, ihr Ende. Ihre Geisel kam unverletzt frei. Auch ihr langjähriger Verbündeter, der sich mit einigen Geiseln in dem Minimarkt verschanzt hatte, wurde getötet. Vier Geiseln kamen dabei ebenfalls um.

Liveticker: Hier können Sie den Tag im Minuten-Protokoll nachlesen.

El-Kaida-Hintergrund

Der mutmaßliche Attentäter Cherif Kouachi ist nach eigenen Angaben von El Kaida beauftragt und finanziert worden. Kouachi sagte dies am Freitag dem französischen Nachrichtensender BFMTV in einem Telefongespräch, bevor er bei einem Einsatz von Elite-Polizisten erschossen wurde. Auch The Intercept berichtet, dass El-Kaida auf der Arabischen Halbinsel (AQAH) hinter dem Attentat stehe.

Im kleinen Dorf Dammartin-en-Goële, 40 km nordöstlich von Paris, hatten sich die zwei Brüder Said (34) und Cherif Kouachi (32) mit ihrer Geisel zuvor verbarrikadiert.

Schauplatz Lebensmittelmarkt

Zugleich verbreitete ihr Verbündeter im Osten der Hauptstadt Angst und Schrecken. Amedy Coulibaly – er hatte bereits am Donnerstag eine Polizistin erschossen – stürmte den koscheren Minimarkt in einem jüdischen Viertel der Stadt. Nachdem er wild um sich geschossen hatte, nahm er Geiseln und verschanzte sich im Geschäft.

Die Polizei konnten live mithören, da der Terrorist nach einem Telefonat das Telefon nicht richtig aufgelegt hatte. Dadurch wussten die Beamten genau, was der Attentäter vorhatte. Sie entschlossen sich laut Agentur AFP kurz nach 17.00 Uhr zum Zugriff, als sich der Geiselnehmer etwas entspannte. Im Zuge der Schießerei, Geiselnahme und Befreiung starben fünf Menschen - einschließlich des Täters. Etwa zehn überlebten und rannten aus dem Geschäft. Nach einer vermeintlichen Komplizin fahndet die Polizei weiterhin.

Schauplatz Dammartin

Die beiden Brüder, die in den Morgenstunden in eine Schießerei am Stadtrand verwickelt waren, hatten gegen Mittag erstmals direkten Kontakt mit der Polizei aufgenommen.

RAID, die kleine Terror-Spezialeinheit der französischen Sicherheitskräfte, war angerückt. Per Telefon nahm sie Kontakt mit den beiden Terroristen auf. "Man muss mit ihnen reden und nicht aufhören, mit ihnen zu reden", erläuterte der Krisen-Experte Louis Bernard im französischen Fernsehen die Strategie. Religiös fanatisierte Terroristen, schränkte der Spezialist für Geiselnahmen ein, seien "die schwierigsten Fälle bei Verhandlungen. Man muss versuchen, in ihre Köpfe zu kommen, muss herausfinden, wie sehr sie entschlossen sind, zu sterben."

Das kleine Dorf hatte sich bis dahin längst in eine Geisterstadt verwandelt. Die 8000 Bewohner waren von der Polizei aufgefordert worden, ihre Häuser nicht mehr zu verlassen. Die beiden Schulen waren evakuiert, die Kinder in Sicherheit gebracht worden. Auf dem nahen Flughafen Charles de Gaulle wurde der Flugverkehr auf zwei Pisten eingeschränkt.

"Terrorist stand vor mir"

Wirklich nahe gekommen war den beiden Terroristen in diesen Stunden nur ein Mann – und dem rettete nur die eigene Ahnungslosigkeit und der Überraschungseffekt das Leben. Ein Handelsvertreter namens Didier wollte einen seiner Kunden in der besagten Druckerei besuchen. Er traf auf ihn in Begleitung eines schwer bewaffneten Mannes, der sich als Polizist ausgab. Es war einer der beiden Terroristen. Didier schöpfte zwar Verdacht, blieb aber höflich und folgte der dringenden Aufforderung seines Kunden, wieder zu gehen. Also verabschiedete er sich von beiden Herren mit einem Händedruck.

Nach Jahren also taucht nun, nach dem Massaker in Paris, eine alte Terror-Verbindung auf. "Buttes Chaumont" hieß die Gruppe, die über Jahre eine Schaltstelle zwischen dem islamistischen Untergrund in Frankreich und dem Krieg im Irak war. Dort waren die Brüder Said und Cherif mit Amedy Coulibaly zusammengetroffen.

Kämpfer für den Irak

Über die Gruppe wurden Dutzende Kämpfer in den Irak geschleust, um dort am Aufstand gegen die US-Besatzer teilzunehmen. Cherif selbst versuchte, über Syrien dorthin zu gelangen, wurde aber abgefangen und zu drei Jahren Haft verurteilt.

Diese Haft sollte seinen religiösen Fanatismus, aber auch seine Verbindung zu den Netzwerken des islamistischen Terrors noch weiter stärken. Einige der gefährlichsten Terroristen aus Algerien, Mitglieder der islamistischen GIA-Gruppe, waren mit ihm inhaftiert.

Die Verbindungen hielten, auch als Cherif nach 18 Monaten aus dem Gefängnis kam. Bruder Said verschwand bald zur Terror-Ausbildung in den Jemen. Die Daheimgebliebenen Amedy und Cherif verband vor allem die Begeisterung für einen Chefideologen des algerischen Terrors in Frankreich: Djamel Beghal. Auch ihn hatte Cherif im Gefängnis kennengelernt.

Auch nach Saids Heimkehr nach Frankreich verhielten sich die beiden Brüder und ihr alter Freund Amedy unauffällig. Allmählich rutschten sie auf den Terrorlisten des französischen Geheimdiensts nach unten. Auch für die Amerikaner, die ja über die Brüder wegen ihrer Gefährlichkeit insgeheim ein Einreiseverbot verhängt hatten, schienen die beiden irgendwann nicht mehr wichtig zu sein – bis sie schließlich schwer bewaffnet vor der Redaktion der Satirezeitschrift auftauchten.

Hollande: "Tragödie für Nation"

Präsident François Hollande hat die doppelte Geiselnahme als "Tragödie für die Nation" bezeichnet. In einer im Fernsehen live übertragenen Rede an die Nation sprach Hollande mit Blick auf die Geiselnahme in einem jüdischen Supermarkt von einem "antisemitischen Akt".

Wer sind die beiden Männer, die zwölf Menschen auf den Gewissen haben sollen und nun beim Polizeieinsatz umkamen? Die beiden Hauptverdächtigen im Attentat auf Charlie Hebdo waren keine unbeschriebenen Blätter – wie der französische Innenminister Bernard Cazeneuve am Donnerstag eingestand, sind sie sogar überwacht worden. Dabei habe es allerdings keinerlei Hinweise auf einen bevorstehenden Terrorakt gegeben - gegen die Männer habe es auch kein juristisches Verfahren gegeben.

Jagd nach den Attentätern: Zum Live-Ticker geht es hier.

Jüngerer Bruder verurteilt

Die Verdächtigen sollen Verbindungen zu einer jemenitischen Terrororganisation gehabt haben. Cherif Kouchi war den Behörden seit langem bekannt: Seit er Anfang 20 war, soll er unter Beobachtung gestanden haben. Er habe lange unter dem Einfluss eines islamistischen Predigers in Paris gestanden, 2008 wurde er verurteilt, weil dabei geholfen hatte, Dschihadisten in den Irak zu schleusen.

Er ist gemeinsam mit seinem Bruder ohne Eltern in der Bretagne aufgewachsen, später habe er als Fitnesstrainer in Paris gearbeitet. Im Alter von 23 soll er versucht haben, selbst nach Syrien und in den Irak zu reisen. Seine Radikalisierung soll er selbst mit den Folterbildern aus Abu Ghraib begründet haben - und auch eine Verbindung zum Islamischen Staat wird vermutet.

Im Jemen gekämpft

Said, Cherifs älterer Bruder, war in Polizeikreisen deutlich unbekannter. Nachbarn erzählten dem Guardian, er habe zuletzt aber eine Djellaba getragen – ein langes, islamisches Gewand. Er sei praktizierender Moslem gewesen, Nachbarn beschrieben ihn aber als völlig unauffällig.

Said soll 2011 allerdings "ein paar Monate" an der Ausbildung lokaler El-Kaida-Einheiten im Jemen teilgenommen haben - er sei dort im Umgang mit Schusswaffen geschult worden, berichtete die New York Times.

Auf der US-Terrorliste

Die beiden mutmaßlichen Attentäter von Paris standen nach Angaben aus Washington als Verdächtige auf einer Terrorliste der USA. Ein Vertreter der Sicherheitskräfte sagte der Nachrichtenagentur AFP am Donnerstag, Cherif und Said Kouchi seien "seit Jahren" auf den Überwachungslisten des Landes gestanden. Sie seien dort als Terrorverdächtige geführt worden und ihre Namen seien auch auf der Flugverbotsliste gestanden, sagte der Vertreter, der anonym bleiben wollte. Damit war es den Brüdern verboten, in die USA zu fliegen.

US-Geheimdienste untersuchten derzeit, ob der El-Kaida-Ableger den Anschlag von Paris ausdrücklich angeordnet habe. Bisher gebe es aber keine Hinweise, dass die beiden Attentäter einen solchen Auftrag bekommen hätten oder einer Al-Kaida-Zelle in Frankreich angehörten. Allerdings habe ein von der AQAP herausgegebenes Propaganda-Magazin im Jemen kürzlich zu Anschlägen auf Menschen im Westen aufgerufen, die den muslimischen Glauben verunglimpften. Auch der Chef des Satiremagazins Charlie Hebdo sei ausdrücklich genannt worden.

Buttes-Chaumont-Netzwerk

Auch der Guardian hat Details über die Täter veröffentlicht. Über das Buttes-Chaumont-Netwerk waren die beiden Brüder auch mit dem dritten Verdächtigen vernetzt.

Buttes-Chaumont ist der Name eines Parks im 19. Pariser Arrondissement, der als Schaltstelle für ein Untergrundnetzwerk fungiert hat – von dort wurden junge radikalisierte Muslime von Frankreich aus in den Dschihad in den Irak geschickt. Die Brüder Said und Cherif Kouchi, die im Norden von Paris zumindest eine Person in ihrer Gewalt haben sowie Amedy Coulibaly, der sich mit seiner Freundin in Vincennes mitsamt fünf Geiseln verschanzt hat, waren Teil davon.

Der 32-jährige Coulibaly hat ein recht großes Vorstrafenregister, beginnend bei Diebstählen bis hin zu Bankraub. Ab dem Jahr 2002 soll er sich zunehmend radikalisiert haben. 2010 wurde er zu fünf Jahren Haft verurteilt, weil er dem verurteilten Islamisten Smaïn Aït Ali Belkacem beim Ausbruch aus dem Gefängnis geholfen haben soll. Auch die Kouchi-Brüder sollen wegen dieses Vorfalls kurz inhaftiert gewesen sein. Als Coulibaly 2014 frühzeitig entlassen worden war, soll seine Freundin Boumeddiene vor dem Gefängnis gewartet haben.

Coulibaly soll die beiden Brüder während ihrer Inhaftierung im Fleury-Mérogis-Gefängnis kennengelernt haben, schreibt der Guardian. Sie sollen auch alle denselben Mentor gehabt haben - Djamel Beghal, der einen Anschlag auf die US-Botschaft in Paris geplant hatte und deshalb verurteilt wurde.

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