Orbáns Russland-Orientierung ist "Problem"

Orbán ist angezählt: Er hat die Zweidrittel-Mehrheit im Parlament verloren
Ungarns bekannte Intellektuelle skizziert die steigende Skepsis gegenüber Premier und Fidesz.

Die Philosophin Agnes Heller gehört zu den schärfsten Kritikerinnen von Premier Viktor Orbán und seiner Fidesz-Partei. Der KURIER traf die prominente Vertreterin der ungarischen Zivilgesellschaft Montagabend am Rande der Diskussionsreihe "Bank Austria Salon im Alten Rathaus".

KURIER: Frau Heller, durch eine Nachwahl verlor Fidesz die Zweidrittelmehrheit im Parlament. Ist dieses Ergebnis der Beginn des Endes von Orbán?

Orbáns Russland-Orientierung ist "Problem"
APA20251820_12092014 - WIEN - ÖSTERREICH: Die Autorin Agnes Heller am Freitag, 12. September 2014, während der Buchpräsentation "Die Welt der Vorurteile - Geschichte und Grundlagen für Menschliches und Unmenschliches" in Wien. FOTO: APA/GEORG HOCHMUTH
Agnes Heller:Das kann man noch nicht sagen. Die nächste Nachwahl in Kürze in Tapolca wird es zeigen. Wenn Fidesz erneut verliert, ist es eine Tendenz, das kann eine Zäsur sein. Fidesz hat viele Wähler verloren. Die Enttäuschung kam gleich nach dem Wahlsieg 2014. Jetzt gibt es auch Streit in der Fidesz, ein Freund und Unterstützer von Orbán hat sich gegen ihn gestellt. Auch das Verhältnis Orbáns zu Putin trägt dazu bei, dass die Skepsis gegenüber Orbán steigt.

Warum gab es die jahrelange Zustimmung zu Fidesz und Orbán?

Fidesz hat 2010 eine große Propagandamaschinerie gegen die Sozialisten mobilisiert. Nationalistische Slogans haben dazu beigetragen, die Ungarn sind ja sehr von Nationalismus beeinflusst. Dass Orbán 2014 gewonnen hat, lag daran, dass es keine regierungsfähige Opposition gab. Jetzt ist die Stimmung anders. Viele demonstrierten gegen die Internet-Steuer. Es gibt große Unterschiede zwischen Ost- und Westungarn, zwischen Stadt und Land. Orbáns Unterstützung am Land ist durch Jobbik gefährdet.

Fürchten die Bürger, dass Orbán sein Land immer weiter weg von der EU steuert?

Das fürchten Intellektuelle und Unternehmer. Das Volk versteht das nicht. Es versteht, dass die Armut größer wird, die Kinder hungrig schlafen gehen. Einige Fidesz-Mitglieder begreifen, dass Orbáns Russland-Orientierung ein Problem ist. Viele fürchten sich davor, dass Russland den Ausbau der Atomkraft unterstützt und Ungarn dadurch von Russland abhängig wird.

Ungarn wird wegen rassistischer und antisemitischer Vorfälle kritisiert. Zu Recht?

Jobbik ist antisemitisch und rassistisch. Das Problem ist, dass im Parlament antisemitische Äußerungen ohne Sanktionen möglich sind. Fidesz ist nicht antisemitischer als andere Parteien in Europa, dennoch ist Fidesz eine Schande für Ungarn.

Fidesz gehört der Europäischen Volkspartei an. Sind die pro-europäischen Kräfte enttäuscht, dass die EVP nichts gegen die Partei tut?

Intellektuelle sind enttäuscht, sie glauben, dass die EU Sanktionsmöglichkeiten nicht nützt. Meine Meinung ist, dass sich die Ungarn selbst helfen müssen. Wir bekamen unsere Freiheit immer von außen geschenkt, auch bei der Wende. Die Bürger sollten aktiv gegen die Regierung sein. Wir sollten die Freiheit selbst erkämpfen, nur diese Freiheit hat einen Wert.

Orbán will eine illiberale Demokratie. Was ist das?

Orbán will die zentrale Macht, alle Entscheidungen trifft er selbst, alle hören auf seine Befehle. Orbán fühlt sich Putin nahe, beide haben dieselbe Attitüde: Sie wissen alles besser, sie dulden keine Opposition. Putin übt auf Orbán eine Anziehung aus, eine autokratische Regierung findet er sympathisch.

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