Regierungsarmee stieß ins Zentrum von Kunduz vor

Polizeikontrollen in der afghanischen Stadt Kunduz
Verschanzte Talibankämpfer werden in der Provinzhauptstadt weiterhin bekämpft.

Sondereinheiten der afghanischen Armee sind am Donnerstag bis ins Zentrum von Kunduz vorgestoßen und haben mit der Vertreibung der Taliban aus der nördlichen Provinzhauptstadt begonnen. "Die Sicherheitskräfte haben die Innenstadt unter Kontrolle", sagte der Sprecher des afghanischen Innenministeriums, Sedik Sedikki, der Nachrichtenagentur AFP.

Die "Aufräumoperation" werde aber noch Zeit in Anspruch nehmen, da sichTaliban-Kämpfer teils noch in Häusern verschanzt hielten. Zuvor hatte der stellvertretende Innenminister Ayub Salangi erklärt, Kunduz sei bei einem "Spezialeinsatz" in der Nacht auf Donnerstag befreit worden. Sedikki zufolge erlitten die Taliban bei den heftigen nächtlichen Kämpfen "schwere Verluste".

Taliban widersprechen weiterhin

Der Talibansprecher Zabihullah Mujahid erklärte dagegen, die Rebellen hätten die Soldaten am Morgen aus der Stadt vertrieben und kontrollierten Kunduz weiterhin. Im Widerspruch dazu sagte ein Kommandant der Taliban AFP, die Rebellen hätten sich aus fast allen Teilen der Stadt zurückgezogen. Mit der Einnahme von Kunduz am Montag hätten sie jedoch bewiesen, dass sie auch jede andere Stadt erobern könnten, "wann immer wir wollen".

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Leichen von Talibankämpfern

Für die Provinz Kunduz war früher die deutsche Bundeswehr verantwortlich. Einwohner der Stadt berichteten über nächtliche Kämpfe. Im Zentrum der Stadt seien nun afghanische Soldaten zu sehen. Auf den Straßen lägen Leichen von Taliban-Kämpfern. Afghanische Soldaten hätten die Taliban-Fahne durch die afghanische Flagge ersetzt. In manchen Teilen der Stadt werde allerdings noch gekämpft.

"Überbleibsel" verschanzt

Sedikki sagte, "Überbleibsel" der Taliban hätten sich in Häusern von Zivilisten verschanzt und feuerten von dort Schüsse ab. Außerdem hätten die Taliban an verschiedenen Stellen Sprengfallen platziert.

Nach Angaben der Provinzbehörden wurden bisher 49 Tote und 330 Verwundete in die Krankenhäuser der Stadt gebracht. Die Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen teilte mit, sie habe seit Montagmorgen in Kunduz 252 Verletzte operiert oder behandelt, darunter 53 Kinder.

Hunderte Taliban-Kämpfer hatten Kunduz am Montag überrannt, ohne auf nennenswerte Gegenwehr zu stoßen. Am folgenden Tag startete die Armee eine Gegenoffensive. Am Mittwoch bekam sie Unterstützung durch die NATO. Spezialkräfte trafen nach Angaben des westlichen Militärbündnisses in Kunduz ein, um die Regierungstruppen zu beraten. Eigene Verstärkung für die afghanische Armee traf nur langsam in Kunduz ein.

Die Taliban-Kämpfer ließen in Kunduz hunderte Häftlinge frei, setzten Regierungs- und Mediengebäude in Brand und hissten ihre Fahnen. Sie erbeuteten Panzer und andere Fahrzeuge, riefen "Allahu Akbar" und kündigten die Einführung des islamischen Scharia-Rechts an, wie in Videoaufnahmen zu sehen war.

Am Montag hat der erfolgreiche Angriff der Taliban auf die nordafghanische Stadt ein Schlaglicht auf die instabile Sicherheitslage in Afghanistan geworfen. Und nicht nur das. Der EU-Sonderbeauftragte für Afghanistan Franz-Michael Mellbin warnte vor einem Erstarken der Terrormiliz Islamischer Staat. Die Hoffnung, die Dschihadisten würden nur eine Randerscheinung im Land bleiben, sei verfrüht gewesen. Es verstärkte die Zweifel an der Fähigkeit der Armee und der Polizei des Landes, selbst für Sicherheit zu sorgen. Das Vorhaben der USA, 2016 fast alle ihre verbliebenen Soldaten aus Afghanistan abzuziehen, wurde erneut in Zweifel gezogen.

Rund 13.000 Nato-Soldaten sind nach dem Ende des Kampfeinsatzes in Afghanistan Ende 2014 für die Folgemission "Resolute Support" weiterhin am Hindukusch, um die einheimischen Streitkräfte auszubilden und zu beraten. Bis zu 850 deutsche Soldaten sind daran beteiligt. Die deutsche Bundeswehr ist von Mazar-i-Sharif aus weiter für den Norden verantwortlich.

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