Ägypten und Golfstaaten verfolgen eigene Ziele

Rauchsäule über Tripolis: Für die Bewohner der libyschen Hauptstadt ein gewohnter Anblick – ebenso wie die zahlreichen verfeindeten Milizen-Kämpfer
Islamisten-Milizen auf dem Vormarsch rufen die Arabischen Emirate, Ägypten und Katar auf den Plan.

Eine machtlose Regierung ohne funktionierende Institutionen, unzählige Milizen und Stämme, die um Herrschaft und Ressourcen kämpfen: Das charakterisiert einen "Failed State", einen gescheiterten Staat. Jüngstes Beispiel: Libyen, in dem es seit dem Sturz von Diktator Gaddafi 2011 keiner Regierung gelungen ist, Recht und Ordnung herzustellen.

Die größte Gefahr für das Land derzeit ist die Milizen-Koalition "Morgendämmerung", vorwiegend bestehend aus Islamisten. Mitte Juli attackierte die Koalition den internationalen Flughafen von Tripolis, den sie am Wochenende einnahm. 13.000 Familien sollen Tripolis während der Kämpfe verlassen haben.

Bombardements

Laut Berichten aus US-Regierungskreisen bombardierten Kampfjets der Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) vor der Eroberung des Flughafens zwei Mal das Gelände. Gestartet seien sie in Ägypten. Die Behauptung scheint auf den ersten Blick plausibel: Immerhin unterstützen die VAE schon länger die anti-islamistische Zintan-Miliz, die den Flughafen seit Gaddafis Sturz kontrolliert hatte. Wolfgang Pusztai, österreichischer Ex-Militärattache in Libyen, ist dennoch skeptisch. Die USA hätten nicht einmal angedeutet, worauf sich ihre Behauptung stütze, sagte der international gefragte und bestens vernetzte Libyen-Kenner dem KURIER. Außerdem spreche der Ablauf der Angriffe und deren geringe Präzision gegen die hoch gerüsteten VAE. Es sei zwar nicht ganz auszuschließen, dass die VAE die Angriffe geflogen seien, es könnten aber auch Kräfte aus Libyen gewesen sein.

Gründe für ein militärisches Eingreifen hätten indes sowohl die VAE als auch Ägypten. Beiden Ländern sind die Islamisten ein Dorn im Auge, die in der Nahost-Region seit dem "Arabischen Frühling" auf dem Vormarsch sind. Deren Macht wollen die Regierungen in Abu Dhabi und Kairo unbedingt eindämmen.

Gegenspieler der VAE und Ägyptens im Kampf um die Vorherrschaft in Libyen und der Region ist Katar. Es unterstützt Islamisten in mehreren Ländern, sowohl moderate wie die Muslimbruderschaft u. a. in Ägypten als auch den in Irak und Syrien extrem kaltblütig agierenden "Islamischen Staat" – auch wenn das stets dementiert wird.

"Katar war nach dem Einmarsch des Irak in Kuwait 1990 schwer geschockt", erläutert Pusztai die Motive des Emirats. Dem kleinen Kuwait sei damals wegen seiner strategischen Bedeutung von den USA geholfen worden – womit das ebenfalls kleine Katar nicht unbedingt rechnen könne. "Es versucht daher mit allen Mitteln, sich als politisch führender arabischer Staat zu etablieren." Neben Aufrüstung habe man vor allem auf Diplomatie, Finanzen, Wirtschaft und Medien gesetzt. Der Nachrichtensender Al Jazeera, lange praktisch Monopolist in der arabischen Welt, gehört dem Herrscherhaus.

Eigendynamik

Mit Beginn des "Arabischen Frühlings", so Pusztai, habe Katar begonnen, islamistische Gruppen zu unterstützen, um ein Druckmittel gegenüber Saudi-Arabien und anderen Golfstaaten zu haben. Diese fürchteten nichts mehr als eine Unterwanderung durch Islamisten. "Inzwischen hat das eine gewisse Eigendynamik bekommen", so Pusztai. Einige der anfangs moderaten Gruppen hätten sich radikalisiert.

Ihren militärischen Sieg wollen die Islamisten in Libyen nun in einen politischen umwandeln. In einem ersten Schritt booteten sie am Montag das im Juni neu gewählte Parlament aus, in dem sie keine Mehrheit mehr haben: Ein Drittel der Abgeordneten des "alten" Parlaments ernannte einen Gegen-Premier. Der international anerkannte eigentliche Regierungschef erklärte das für widerrechtlich. Allein – er hat kaum etwas zu sagen.

Inmitten der anhaltenden Gewalt in Libyen hat die Übergangsregierung ihren Rücktritt erklärt. Ministerpräsident Abdullah al-Thani und seine Minister hätten den Rücktritt "beim gewählten Parlament" eingereicht, hieß es am Donnerstagabend in einer Erklärung der Regierung.

Das Parlament sei die "einzig legitime Autorität des Landes". Es müsse nun eine neue Regierung nominieren, "die das gesamte libysche Volk vertritt". Die Übergangsregierung hat keine wirkliche Macht in Libyen. Ihr Sitz ist im Osten des Landes, weil sie so dem Einflussbereich von islamistischen Milizen in Tripolis entgehen wollte. Auch das Parlament sitzt 1600 Kilometer östlich der Hauptstadt, in der Stadt Tobruk. Es war im Juni gewählt worden und hatte anschließend offiziell die Befugnisse des libyschen Nationalkongresses übernommen.

Gegenparlament

Die Islamisten in Libyen hatten bei der Wahl eine Niederlage erlitten. Sie sprechen dem gewählten Parlament und der Übergangsregierung die Legitimität ab. Erst vor wenigen Tagen riefen sie den von ihren Sympathisanten dominierten Nationalkongress wieder zusammen und machten ihn zu einer Art Gegenparlament. Am Montag dann "entließ" der Nationalkongress al-Thani als Übergangsregierungschef und ernannte einen eigenen Ministerpräsidenten für das Land. Der Streit stürzte das nordafrikanische Land noch tiefer ins politische Chaos, in dem es seit Monaten versinkt.

Libyen ist seit dem Sturz des langjährigen Machthabers Muammar al-Gaddafi im Jahr 2011 nicht zur Ruhe gekommen. Islamistische Milizen liefern sich in verschiedenen Regionen immer wieder heftige Kämpfe mit Regierungstruppen und auch untereinander. Inzwischen kontrollieren islamistische Kämpfer unter anderem den Flughafen von Tripolis.

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