Abzug aus Gaza blieb für Siedler offene Wunde

August 2005: Mit der Thora zieht Rabbi Jossef Elnekave an der Spitze seiner Gemeinde aus Gusch Katif im Gazastreifen ab. Er hat den Glauben an den Staat Israel verloren.
Vor zehn Jahren räumte Israel die Palästinenser-Gebiete. Palästinenser warten nach Krieg auf Wiederaufbau.

Gegensätzlicher können zwei Menschen kaum aussehen. Ilan Tenenbaum (62) trägt einen Hut wie ein Cowboy. Und war auch einer. Jossef Elnekave (61) trägt im Sommer einen dunklen Anzug wie ein Rabbiner. Und war auch einer. Gemeinsam aber haben sie ihren Glauben an Gott und ihre Vergangenheit als Siedler im Gazastreifen. Und beide haben sie ihren Glauben an den Staat Israel verloren.

„Wir glauben nur noch Gott und vertrauen nur noch uns selbst“, meint Elnekave. Seine sonst so ruhige Stimme wird dabei lauter. „Von niemandem sonst haben wir etwas zu erwarten. Auch nicht von dieser ach so rechten Regierung.“ Er zog im August 2005 an der Spitze seiner Gemeinde aus Gusch Katif ab. Mit der Heiligen Schriftrolle auf der Schulter (siehe großes Foto). Danach wollte er keine Gemeinde mehr führen. Führte er seine letzte doch in eine Enttäuschung. Eine andere Stelle im klerikalen Bereich war nicht frei. Elnekave ging in Frühpension. „Wie viele Siedler in meinem Alter. Der Staat versprach seinerzeit jedem Siedler seine Lösung. Eine glatte Lüge“, schimpft er. „An die 30 Prozent warten immer noch auf eine neue Wohnung. Viele verloren mit der Arbeit ihre Selbstachtung.“

Glaube an Gott verloren

Nicht wenige verloren auch ihren Glauben an Gott, bestätigt Elnekave traurig. Gott ist das Leben. Das Leben ist Arbeit. Und Glauben, Hoffnung, Liebe. „Nichts davon ist selbstverständlich.“ Der Staat bot den Geräumten „individuelle Betreuung“ an. Viele aber hätten einen „kollektiven Weg“ bevorzugt, erzählt Ilan Tenenbaum. „Wir aus Nezer Chasani beharrten darauf, zusammenzubleiben.“ Über die Hälfte der 400 Einwohner blieb zusammen. Zunächst in einer Bungalow-Feriensiedlung auf den Golan-Höhen im Norden, dann in Wohncontainern neben Jessodot, halbwegs zwischen Tel Aviv und Jerusalem. Dort stehen heute auch die neuen Häuser. Das neue Nezer Chasani, einem Nachbarort von Yad Binyamin, wo Elnekave heute wohnt.

Bald werden die letzten Häuser in Nezer Chasani fertig sein. Tenenbaum wohnt schon im neuen Haus. Mit Feldern, die er an einen Bauern verpachtet. „Es ist nicht eimal die Hälfte dessen, was wir vorher hatten.“ Zwei seiner verheirateten Söhne leben gleich in der Nachbarschaft. Nesthäkchen Halel (17) lernt an einem religiösen College, das auf Studium und Armeedienst vorbereitet: „Die Armee, die mich aus meinem Haus vertrieben hat.“ Halel gibt zu, das Trauma der Räumung nicht verarbeitet zu haben. Im Gegensatz zu den meisten seiner Mitschüler wird er sich nicht freiwillig für eine Elite-Einheit bewerben. Wie viele der „Räumungskinder“. Einige drücken sich sogar vor dem Wehrdienst. Andere haben die Kippa abgenommen, an denen religiöse Juden zu erkennen sind.

RäumungskinderIm Herbst will Halel heiraten. Auch seine Verlobte ist ein Räumungskind. Mit ihr will er in eine der „wilden Siedlungen“ ziehen. Auf den Hügeln des Westjordanlandes. Halel stellt richtig: „Judäa und Samaria!“ Er benutzt nur die biblischen hebräischen Namen. Diese meist winzigen Siedlungen wurden oft – auch nach israelischem Recht – illegal errichtet. Erst vor zwei Wochen riss die Armee zwei so errichtete Gebäude nieder. Steht hier ein neues Trauma gegen ein altes?
In diesen Siedlungen nahmen Polizei und Geheimdienst erste mutmaßliche Mitglieder streng geheimer Untergrundzellen jüdischer Terroristen fest. Sie verübten in den letzten Jahren Anschläge auf Moscheen, Kirchen, Militäreinrichtungen und arabische Wohnhäuser. Mit zwei Todesopfern.

Verständnis für Terror

Halel wiegt den Kopf: „Ich kann das nicht so richtig befürworten. Aber ich verstehe ihre Motive bestens.“ Sie glauben weiter an Gott, nicht aber den Rabbinern. Es ist niemand da, der noch mäßigend auf sie einwirken könnte.Nur 15 Kilometer entfernt liegt der Gazastreifen. Hier folgte der Räumung eine Schwächung der regierenden Fatah. Ein Jahr später siegte die Hamas in den Wahlen. Der Raketenbeschuss auf Israel, der noch vor der Räumung begann, verschärfte sich. „6000 Granaten haben sie auf uns geschossen“, erinnert sich Tenenbaum, „jetzt sind wir weg, da schießen sie auch auf Tel Aviv und Haifa.“ Und Israel schießt zurück. Die Räumung brachte keinen Frieden. Im Gegenteil. Auch der Palästinenser Ayman Kafarna (45) steht heute neben den Ruinen seines Hauses in Bet Hanun im Norden von Gaza. Die Hamas beschoss in ihrem letzten Waffengang vor einem Jahr Israel. Aus Stellungen gleich neben Aymans Haus. „Wir flohen zu Verwandten im Süden. Das Haus wurde schwer getroffen.“

Kein Wiederaufbau

Seit dem Krieg mit Israel wartet Ayman auf den Wiederaufbau. Spendengelder aus aller Welt liegen bereit, Israel erlaubt die Einfuhr von Baumaterial, aber das Geld bleibt liegen. Hamas und Fatah können sich nicht einigen, wer Ayman und all den anderen Ausgebombten das Geld überweisen darf. „Mir ist es doch völlig egal, von wem ich das Geld bekomme. Hauptsache es kommt bald.“ Wo sehen sich die Familien Kafarna, Tenenbaum und Elnekave in zehn Jahren? „Im neuen Haus“, hoffen alle. Ilan Tenenbaum und Jossef Elnekave haben noch einen Wunsch: Das Haus soll im alt-neuen Gusch Katif stehen. Für ein Zurück in den Gazastreifen würden sie sich noch einmal räumen lassen.

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