MH17: Experten treffen bei Absturzstelle ein

Am Absturzort herrschen chaotische Zustände, Niederlande schicken Ermittler. Soldaten rücken nach Donezk vor.

Behinderungen, Plünderungen, "widerlicher" Umgang mit den Todesopfern: Nach dem Absturz der malaysischen Passagiermaschine in der Ostukraine wird von "chaotischen Zuständen" vor Ort berichtet und von Gefahren durch die prorussischen Separatisten, die die Absturzstelle kontrollieren. Nach diesen massiven Klagen sind nun Luftfahrt-Experten in das Gebiet bei Donezk gereist: Die Niederlande werden die internationale Identifizierung der Opfer in der Ostukraine koordinieren, gab Premier Mark Rutte am Sonntagabend in Den Haag bekannt.

Experten in Donezk eingetroffen

Drei Experten zur Identifizierung der Opfer des Flugzeugabsturzes in der Ostukraine sind bereits in der von Separatisten kontrollierten Stadt Donezk eingetroffen. Es sind die ersten ausländischen Spezialisten, die seit dem mutmaßlichen Abschuss des Flugzeuges am Ort des Geschehens eintrafen. Ein Sprecher der Separatisten sagte, sie würden den Niederländern helfen, den Absturzort zu besichtigen und die in Kühlwaggons gelagerten Leichen zu inspizieren. Die Rebellen würden auch den Rat der Experten hören, wohin die Toten gebracht werden sollten.

Nach Angaben der ukrainischen Regierung wurden bis Sonntagabend 251 Leichen und 86 Leichenteile geborgen. Ein zweiter Kühlzug zur Lagerung der Toten traf am Montag in der Region ein, wie ein Regierungsausschuss in Kiew erklärte. Rund 200 Leichen werden in einem ersten Kühlzug aufbewahrt. Neben den Niederländern wird auch ein Expertenteam aus Malaysia am Montag in der Ostukraine erwartet. Derzeit sind schon Beobachter der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) in dem Gebiet. Sie waren die ersten Ausländer, die zeitweise Zugang zum Absturzort erhalten hatten.

Putin sichert Unterstützung zu

Im ostukrainischen Charkow sollen die Niederlande ein Koordinationszentrum für die Identifizierung der 298 Opfer einrichten. Auch der russische Präsident Wladimir Putin sicherte den Niederlanden seine Unterstützung bei der Übergabe der sterblichen Überreste der Opfer des abgestürzten Flugzeuges sowie der Flugschreiber zu. Das sagte er Rutte am Sonntagabend am Telefon. Die prorussischen Aufständischen haben nach eigenen Angaben "Flugzeugteile" gefunden, die "Black Boxes ähneln". Aus Mangel an Spezialisten könnten sie die Teile nicht selbst untersuchen, sagte Rebellenführer Alexander Borodaj am Sonntag in Donezk. Das Material könne "internationalen" Ermittlern übergeben werden.

Die Waggons mit den Leichen sollen bis zum Eintreffen internationaler Experten in Tores bleiben. Zuvor hatte die russische Staatsagentur Ria Nowosti gemeldet, dass der Zug über Ilowaisk nach Donezk fahren werde. Dem widersprach aber Separatistenanführer Alexander Borodaj. "Wir haben nicht vor, die Körper vor der Ankunft der Experten irgendwohin zu bringen. Die Regierung verzögert aber dieses Eintreffen", sagte er.

MH17: Experten treffen bei Absturzstelle ein
epa04324603 A Ukrainian worker passes body bags at the main crash site of the Boeing 777 Malaysia Airlines flight MH17, which crashed over the eastern Ukraine region, near Grabovo, some 100 km east of Donetsk, Ukraine, 20 July 2014. A Malaysia Airlines Boeing 777 with more than 280 passengers on board crashed in eastern Ukraine on 17 July. The plane went down between the city of Donetsk and the Russian border, an area that has seen heavy fighting between separatists and Ukrainian government forces. EPA/IGOR KOVALENKO

Militär rückt nach Donezk vor

Indes erhöht Kiew den Druck auf die Separatisten: Ukrainische Soldaten versuchen anscheinend, in die von prorussischen Separatisten kontrollierte Stadt Donezk einzudringen. Ein Anführer der Separatisten sagte am Montagvormittag, es gebe Kämpfe in der Innenstadt in der Nähe eines Bahnhofs. Zuvor war eine laute Explosion zu hören.

Europa erhöht den Druck

Um eine bedingungslose Kooperation der Separatisten zu erzwingen, verstärkt die internationale Gemeinschaft den Druck auf Russland. Die deutsche Kanzlerin Merkel, Frankreichs Präsident Hollande und der britische Premier Cameron drohten Moskau mit einer Ausweitung der EU-Sanktionen. Putin müsse umgehend auf die moskautreuen Rebellen einwirken, um den ungehinderten Zugang der Ermittler zum Absturzgebiet zu gewährleisten, hieß es in Paris und London.

"Das ist der Augenblick der Wahrheit für Putin", sagte US-Außenminister John Kerry am Sonntag im US-Sender CNN. Es gebe eine enorme Menge von Fakten, die die russische Verbindung zu den Separatisten belegten. Dazu gehörten die Ausbildung und die Versorgung der Rebellen mit Waffen, fügte er im Sender ABC hinzu. Kerry rief die Europäer in mehreren TV-Talkshows auf, dem Beispiel Washingtons zu folgen und ihre Sanktionen zu verschärfen.

USA geben Russland Mitschuld

MH17: Experten treffen bei Absturzstelle ein
epa04316745 US Secretary of State John Kerry addresses the media in Vienna 15 July 2014 following his latest talks between the E3+3 (France, Germany, UK, China, Russia, US) and Iran on Iran's nuclear prgramme. The talks are looking to persuade Iran to limits its nuclear programme in exchange for the lifting of sanctions. EPA/HANS PUNZ
Kerry hatte CNN gegenüber Moskau auch der direkten Mittäterschaft beschuldigt: "Es ist ziemlich klar, dass dieses System von Russland in die Hände der Separatisten gelangte", sagte er in Anspielung auf die Rakete, die mutmaßlich die Boeing am Donnerstag abschoss. Die Regierung in Kiew und die prorussischen Separatisten bezichtigen sich gegenseitig, die Maschine abgeschossen zu haben.

Ähnliches berichtete im Vorfeld auch die Washington Post: Unter Berufung auf einen anonymen US-Regierungsmitarbeiter schrieb sie, dass Russland das Buk-Abwehrsystem, mit dem MH 17 laut Militärexperten abgeschossen wurde, an die Separatisten geliefert habe. Auch die Ukraine ist dieser Ansicht.

Die Separatisten behinderten eine Untersuchung der Wrackteile weiterhin massiv. Bis zu 900 Aufständische würden die Rettungskräfte nahe der Ortschaft Grabowo ständig überwachen und erheblich einschränken, klagte der ukrainische Vize-Regierungschef Wladimir Groisman am Sonntag. Die Suche nach Leichen und Trümmern wurde auf eine Fläche von 34 Quadratkilometer ausgeweitet.

UN-Resolution

Der UN-Sicherheitsrat könnte noch am Montag über eine Resolution zum Absturz abstimmen. Die australische UN-Mission setzte ihren Resolutionsentwurf "in blau". Damit ist das Papier abstimmungsreif und könnte nach der üblichen Frist von 24 Stunden zur Entscheidung kommen. Weil die Russen die Resolution mit ihrem Veto verhindern können, ist der Ausgang allerdings völlig offen. Der australische Entwurf fordert von allen Beteiligten, insbesondere den prorussischen bewaffneten Separatisten, in deren Machtbereich die Absturzstelle liegt, eine uneingeschränkte Zusammenarbeit mit den internationalen Behörden. Gleichzeitig soll das Papier jede Manipulation an der Absturzstelle untersagen. Es fordert zudem, dass die Flugschreiber und andere Beweisstücke sofort auszuhändigen sind.

Die Fluggesellschaft Emirates hat nach dem mutmaßlichen Abschuss der malaysischen Boeing über der Ostukraine Konsequenzen für die zivile Luftfahrt gefordert. Es müsse neu definiert werden, wie die Airlines mit dem Überflug von Krisengebieten umgehen sollten, sagte Emirates-Präsident Tim Clark der Nachrichtenagentur Reuters. So könne der Dachverband IATA eine Branchen-Konferenz einberufen, um über notwendige Änderungen zu beraten. Eine Idee könne sein, dass sich die Behörden in den jeweiligen Ländern mehr einbringen in die Entscheidung darüber, wo ihre Fluggesellschaften sicher fliegen könnten.

Clark sprach sich zugleich gegen die Idee aus, Flugzeuge mit einer Raketen-Abwehr auszurüsten. "Wenn wir ein Flugzeug nicht mehr nicht frei und unbelastet von der Sorge vor einem Abschuss fliegen lassen können, dann sollten wir es gar nicht mehr fliegen lassen." Emirates aus Dubai gehört zu den größten Unternehmen der Branche.

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