Angela Merkel: Die Machtfurie aus dem Osten

Angela Merkel: Die Machtfurie aus dem Osten
Konservative Abrechnung: Das neue Buch "Die Patin" der Publizistin Gertrud Höhler zeichnet Merkel als prinzipienlos und gefährlich.

Jahrelang hat die Presse sich mit der Frage beschäftigt, ob Merkel besonders gut oder eher schlecht oder vielleicht gar nicht führt. In Wahrheit hat sie ein autokratisches System entwickelt, das von den Vorurteilen der Beobachter profitiert: Autoritäres Schweigen ist in diesen Vorurteilen nicht verzeichnet. Genau das praktiziert die Kanzlerin mit wachsendem Erfolg."

Das "autoritäre Schweigen" hat gute Chancen, als neues Wort in die deutsche Politik einzugehen. In der bisherigen Resonanz der deutschen Presse auf Gertrud Höhlers neuestes Buch "Die Patin" ist der Ausdruck der meistzitierte. Vieles andere darin wird allerdings doch ziemlich relativiert. Zumindest von jenen, die nicht – wie der stramm linke Verleger Jakob Augstein oder die vielstimmige Opposition – "natürliche" Feinde Merkels sind.

Denn so drastisch hat bisher selten jemand aus dem konservativ-liberalen Spektrum mit dem "System Merkel" abgerechnet: Erbarmungsloser als alle seine Männer geht die 71-jährige, bisher so elegant formulierende wie gekleidete ehemalige Literatur-Professorin auf die Kanzlerin los. Das dürfte ihr wieder einige der zuletzt doch rar gewordenen Talkshow-Auftritte garantieren, wie der stets pointiert formulierende Herausgeber der Zeit, Josef Joffe, ätzt.

DDR-Überdosis

Angela Merkel: Die Machtfurie aus dem Osten

In Talkshows war der Part der unabhängigen Konservativen Höhlers Alleinstellungsmerkmal, das sie mit später Kritik an dem von ihr zuvor beratenen Kanzler Helmut Kohl pflegte. Jetzt behauptet sie:

Das DDR-Gewächs Merkel hat als Folge von deren Überdosis an falschem Pathos und verlogener Moral keine weltanschaulichen Grundsätze. Ihr einziges Prinzip ist der Machterhalt. Ihre Mittel sind die systematische Verschleppung von Diskussionen und Entscheidungen durch Schweigen sowie die Besetzung aller Stellen mit Ja-Sagern. Merkels fehlende Wertestruktur erleichtert ihr die Übernahme der Wahlversprechen anderer, so diese ihrer Machterhaltung nützen.

Der schwerste Vorwurf Höhlers: "Alphawölfin" Merkel geht in der Staatsschuldenkrise daran, auch das letzte Bollwerk zu schleifen – die Rechtsordnung, und das auch noch an Parlament und Volk vorbei. Sie lässt den Bruch aller Verträge nicht nur zu, sondern führt ihn mit herbei. Das liest sich so:

"Der autoritäre Sozialismus, der im System M angelegt ist, nimmt eine Hürde nach der anderen, weil er auf Gewöhnung setzt. Der leiseste aller Übergänge bereitet sich vor ohne laute Appelle ... Kein Bekenntnis zu Deutschland oder Europa, nur ein bisschen mehr statt weniger von beiden: eben ein deutsches Europa ... Wer ein Geheimprojekt verfolgt, kann von seiner Vision nicht sprechen. Logische Folgerung: Er braucht keine."

Die Resonanz auf Höhlers durchgestylte Sätze ist auch wegen des Zeitpunkts stark: Gerade versucht sich in der CDU ein Häuflein Konservativer zu organisieren. Allerdings auch diesmal ohne charismatische Personen, die Wahlen eher gewinnen könnten als Merkel.

Einsam

Vor allem aber treibt die Kanzlerschaft Merkels gerade auf ihren historischen Höhepunkt zu: Die Staatsschuldenkrise erzeugt eine Konfrontation fast ganz Europas mit Deutschland. Doch dessen Mehrheit der Bürger will trotzdem nicht ihren Wohlstand den steuerhinterziehenden Eliten der Südländer opfern. In dieser historisch kritischen Situation ortet Höhler ein gefährliches Werte-Vakuum an der Spitze und schleichende bis abrupte, jedenfalls immer einsame Wendungen.

Für ihr Beispiel des Atomausstiegs bekommt Höhler auch Zuspruch der meisten Medien. Doch bleibt sie in ihrem Furor viele Relativierungen schuldig, wie ihre qualifizierten Kritiker, etwa Joffe, nachweisen: Den ungeheuren Druck von allen Seiten auf Merkel in der komplexesten Krise seit dem Krieg. Diese ist auch das schwere Erbe ihrer Vorgänger Kohl und Schröder: " Der Erste riskierte gegen alle Warnungen Deutschlands Währung für einen europäischen Frieden, indem er das deutsche Volk unfassbar belog, der Zweite hat den einzigen Sicherheitsanker zertrümmert" (Focus). Höhler würdigt nicht, dass ausschließlich Merkels Zögern die Krisenländer zu Reformen zwingt und damit zum einzigen langfristigen Weg aus der Krise.

Höhler ignoriert auch die gesellschaftlichen Veränderungen in Deutschland: Dessen Ruck nach links mit dem Beitritt der DDR, die Einwanderungskomponente eines Fünftels der Wähler und raschere Veränderungen gesellschaftlicher Normen als je zuvor. Und zuletzt hätte auch eine ebenso Wahlen gewinnende konservative Alternative aufgezeigt gehört: Die ist nirgends in Sicht, schon gar nicht im heraufziehenden Vorwahlkampf für den Herbst 2013.

Damit könnte es Höhler trotz richtiger Einzelbeobachtungen bei Lesern und Talkshow-Sehern so gehen wie bei der von ihr Angesprochenen: Die Kanzlerin hat nach der Hälfte aufgehört, den auszugsweisen Vorabdruck des Buches in der FAZ zu lesen.

Womit sie aber das geradezu brutale Fazit Höhlers versäumte: "In Deutschland kann man seit der Einigung politisch an die Spitze rücken, wenn man als Asket an allen Vorgaben vorbeizieht, von denen sich die Mitspieler aus der alten Westwelt aufhalten lassen: Rechtsnormen und Verfassungswerte, Verträge und Wettbewerbsfreiheit, ethische Standards und moralischer Grundkonsens."

Härter geht’s kaum.

G. Höhler: "Die Patin – Wie Merkel Deutschland umbaut", Orell Füssli, 296 Seiten, 22,60 €

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