Akte Strasser: "Meiste Parlamentarier faul wie ich"

Akte Strasser: "Meiste Parlamentarier faul wie ich"
Die vollständigen Protokolle über die Gespräche des Ex-Innenministers mit vermeintlichen Lobbyisten verursachen fassungsloses Staunen.

Ja, er sei ein Lobbyist. Und ja, er versuche, im Sinne seiner Klienten Einfluss zu nehmen im Europäischen Parlament, wenn es etwa um "kritische Inhalte" in Gesetzesänderungen geht, verriet Ernst Strasser im Frühjahr 2011 englischen Journalisten, die sich als Lobbyisten getarnt hatten. Kritisch wurde daraufhin die Lage für den einstigen Innenminister und Europaparlamentarier. Die Enthüllungen sorgten für ein Beben. Ernst Strasser musste abtreten und wurde aus der ÖVP ausgeschlossen – die Staatsanwaltschaft ermittelt wegen Verdachts auf Bestechlichkeit, demnächst wird über eine mögliche Anklage entschieden. Strasser selbst dementiert jegliche Vorwürfe (siehe unten) , für ihn gilt die Unschuldsvermutung.

Dem KURIER liegen nun die kompletten Aufzeichnungen der Gespräche vor, die "Lobbyist" Strasser über mehrere Monate an verschiedenen Orten mit den vermeintlichen Lobbyisten führte – die Dokumentationen stammen aus Ermittlungsunterlagen, sind auf Englisch verfasst, wurden vom Gericht mittlerweile beglaubigt übersetzt und verursachen fassungsloses Staunen.

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Ein Treffen in Brüssel, am 11. November 2010. Die englischen Reporter, die sich als "Lobbyisten" ausgeben werden, diskutieren erst noch, wer wo sitzen sollte. Dann kommt Ernst Strasser, damals noch Chef der ÖVP-Delegation im Europäischen Parlament, und verrät nach einer kurzen Vorstellungsrunde gleich einige berufliche wie private Details. Die Reporter sind in diesem Protokoll mit den Initialen JC bzw. CN abgekürzt. Ein Auszug:

JC: Von wo sind Sie, sind Sie aus Wien?

Strasser: "Ich komme aus dem Bundesland um Wien herum, aber ich wohne mit meiner Familie in Wien. Und wenn Sie einmal in Österreich in der Nähe von Salzburg sind, dort haben wir unseren Zweitwohnsitz. Es ist ein altes Landhaus. Wir haben viel Geld dafür ausgegeben, es zu renovieren, viel mehr, als wenn man ein neues baut." (...)

JC: Und Ihre Partei, von welcher Partei sind Sie?

Strasser: Ich bin Christ(-demokrat). Und ich habe Rechtswissenschaften studiert, danach habe ich in der Privatwirtschaft gearbeitet. Ich wollte nicht Rechtsanwalt werden, und dann hat die Partei, der Parteivorsitzende in Niederösterreich, dem größten Bundesland in Österreich, bat mich, sein Geschäftsführer zu sein, also habe ich zwei Wahlkämpfe geführt, und wir haben 1992 mit 43 Prozent begonnen, und haben den Anteil auf 54 Prozent gesteigert. 54 komma irgendwas.

JC: Das ist gut.

Strasser: Und dann zwei Wahlen, und dann wurde ich Sprecher unserer Partei im Parlament im Jahr 2000. Ich wurde zum Innenminister bestellt für 5 Jahre, 4 Jahre und 10 Monate. Und dann habe ich eine der größten Reformen durchgeführt, die Reorganisation der Gendarmerie und der Polizei, und habe sie zusammengeschlossen. In Österreich ist das so, als ob man die römisch-katholische Kirche und die (unverständlich; Anm.) zusammenschließt, so etwas in der Art. (…) Ich wollte Kommissar werden, also Kommissar hier in der EU, aber das hat nicht funktioniert, weil Barroso (der Kommissionspräsident, Anm.) eine Frau aus Österreich wollte, also habe ich beschlossen, aus der Politik rauszugehen, und ich bin in eine Investmentbank gegangen, um Erfahrungen zu sammeln. (...)

JC: Und wann sind Sie wieder zurückgekommen, um MEP (Europaabgeordneter, Anm.) zu werden?

Strasser: Das war nicht mein Wunsch. Mein Parteiführer (Josef Pröll, Anm.) hat mich gebeten, Spitzenkandidat der ÖVP für den Wahlkampf zu werden. Und Gott sei Dank haben wir den Wahlkampf gewonnen. Es war ein sehr guter Wahlkampf, ein sehr gutes Ergebnis. Und jetzt bin ich hier. Es ist ein Versehen, wenn man so will. Und für mich ist es natürlich wunderbar, weil ich unserem Parteivorsitzenden gesagt habe: "Ja, ich mache das, aber ich will meine Firma haben. Und nach diesen fünf Jahren oder so will ich zur Gänze meine Firma führen."

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Die Unterredung schreitet voran. Strasser erzählt über seine Kontakte nach Deutschland und Russland, verrät, wie oft ihn Lobbyisten besuchten und spricht mit den über "Entwürfe" und die "Gesetzgebung". Dann wird Strasser gefragt:

CN: Und mit wem spricht man, wenn es entworfen wird, spricht man mit dem Beamten?

Strasser: Die meisten Parlamentarier sind so faul wie ich, die ganze Arbeit machen die Mitarbeiter, ja.

CN: Verstehe, also Sie gehen und sprechen mit einem Mitarbeiter.

Strasser: Ich war in meiner Karriere immer sehr gut zur Sekretärin/zum Sekretär der Leute, weil sie die Termine vereinbaren, sie sagen, wer auf der Telefonliste ist, und, und, und. Also ich hatte damit Erfolg, auf all diese Personen zu achten.

JC: Ja, der Schlüssel zu jedem Büro, nicht wahr? (...)

Bei diesem Treffen am 11. November 2010 bohren Strassers Gesprächspartner weiter nach.

CN: Aber wenn wir z. B. ein Problem hätten, wenn wir einen Gesetzesentwurf beeinflussen wollten ...

Strasser: Ja.

CN: Das habe ich gemeint. Würden Sie mit dem Mitarbeiter sprechen? Oder würde Ihr Mitarbeiter mit dem Mitarbeiter sprechen? Oder würden wir mit dem Mitarbeiter sprechen?

Strasser: Das hängt von der Situation ab (...)

Unmittelbar vor dem Ende dieses Treffens in Brüssel erzählt Strasser relativ offen über seine Geschäftsbeziehungen. Auch das Honorar ("meine Klienten zahlen mir im Jahr 100.000") ist Thema.

CN: Also Sie haben zirka zwanzig Klienten?

Strasser: Nein, zwanzig Leute, die für Klienten arbeiten. Ich habe, ähm, zwanzig Leute, die für Klienten arbeiten. Nein, Klienten habe ich dreizehn, ich weiß es ganz genau.

JC: Und Ihre 100.000?

Strasser: Nein, es gibt ein (hält die Hände, um eine Bandbreite anzuzeigen) . Die Lotterien, die zahlen mehr, die zahlen mehr … Sie haben viel Geld, es war gutes Geld, und ich glaube, wir haben gute Arbeit geleistet. Sie mussten viel zahlen.

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In einem dritten Treffen der Reporter mit Strasser (3. Dezember 2010, London) wird von den vermeintlichen Auftraggebern gefragt, ob der mögliche Deal nicht auffliegen könnte, weil Strasser als Europarlamentarier dazu verpflichtet ist, seine Geschäftsbeziehungen offenzulegen.

JC: Bedeutet das nun, dass der Name unserer Firma auf Ihren Offenlegungen an das Parlament aufscheinen wird?

Strasser: Nein, nein, äh…wenn Sie, wenn manche von Ihnen mich bitten, im Vorstand oder als Partner involviert zu sein, müsste ich offenlegen.

JC: Aha, verstehe, aber weil wir es über Ihre Firma machen …

Strasser: Das ist, das ist Beratung, ja, und das ist Beratung von meiner Firma an Ihre Firma.

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Ein Frühstück mit Ernst Strasser in Straßburg, 19. Januar 2011. Der Europapolitiker berichtet von seinen Erfahrungen.

"Also gestern bat mich jemand um Hilfe, das Problem in der Tabakindustrie zu lösen (...) es gibt ein paar Ideen, dass jede Zigarettenschachtel nur mit dem Weiß verkauft werden soll (...) man sieht nicht Marlboro, nicht die anderen Marken, es besteht keine Chance auf Branding."

Strasser erläutert, in dem Stadium, in dem sich die Kommission damit beschäftige, sei es leichter, etwas zu erreichen. Er selbst meint, er arbeite nicht daran, "also sagte ich zu meinen Rechercheuren, hey Leute, wenn ihr wollt, der Klient muss euch dafür zahlen, etwas zu tun."

Ernst Strasser plaudert weiter aus dem Nähkästchen: Manchmal verrate er, wer sein Klient sei, manchmal nicht, manchmal wisse er nicht einmal, für wen er da zu lobbyieren versuche. Auch wichtige Politiker nennt er, bei denen er mit Anliegen vorstellig werde. "Und damit der Kommissar sieht, wie es funktioniert, Sie führen den Verantwortlichen in der Kommission für ein Wochenende nach Portugal (...) Ja, mit ihm Golf spielen oder was auch immer, ja, laden Sie ihn nach Wimbledon ein."

Ernst Strasser berichtet vom mächtigen französischen Kommissar Barnier, "und normalerweise spricht er gar nicht mit einem kleinen Spieler wie mir, einem MEP (Mitglied des Europäischen Parlaments, Anm.) aus Österreich, wo zum Teufel ist Österreich, ja? Aber so ist er, also was macht man mit so einem Typen, man bereitet sein Papier vor, und wo man ihn treffen will, man sagt Herr Kommissar, ich möchte für zwei Minuten mit Ihnen sprechen, hier ist das Papier, könnte ich mit einem Ihrer Leute sprechen, dem Sekretär morgen."

Manchmal, erzählt Strasser beim Frühstück, agiere man auch im Sinne von Regierungen und Firmen, wenn es darum geht, ohne Ausschreibungen Aufträge zu erteilen. "(...) und auch die Regierung hat gute Gründe dafür, dass sie in diesem besonderen Bereich keine Ausschreibung macht. Und natürlich hat die Firma ein Interesse daran, dass es keine Ausschreibung gibt. "

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Affäre Strasser: "Das Material ist manipuliert"

Ernst Strasser argumentierte neulich, das Video der britischen Journalisten sei "sichtlich manipuliert" und "gefälscht". Die Gespräche mit den Briten (Dezember 2010 bis März 2011) habe er geführt, "weil ich wusste, dass diese Personen nicht diejenigen sind, für die sie sich ausgeben". Strasser behauptet, er habe die Hintermänner aufdecken wollen. Die Staatsanwaltschaft ermittelte wegen Verdachts der Bestechlichkeit – es wird in Kürze bekannt gegeben werden, ob Anklage erhoben wird. Strasser geriet zusätzlich unter Druck, nachdem er seinem Parteikollegen Karas einen Abänderungsantrag übermittelt hatte. Karas gab an, er habe ein komisches Gefühl gehabt und diesen Antrag nicht eingebracht.

Für Ernst Strasser gilt die Unschuldsvermutung.

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