Trittbrettfahrer des Sozialstaats

Martina Salomon

Martina Salomon

Seien wir ehrlich: Für manche Österreicher lohnt sich (Mehr-)Arbeit nicht.

von Dr. Martina Salomon

über Trittbrettfahrer des Sozialstaats

Seien wir ehrlich: Für manche Österreicher lohnt sich (Mehr-)Arbeit nicht: In niedrigen Gehaltsstufen ist es finanziell besser, unter einem gewissen Lohnniveau zu verharren, weil man sonst staatliche Zuwendungen verliert und neue Kosten (etwa Kinderbetreuung) hat. Die Wissenschaft nennt das "Schwellenphänomen".

Leider hat die Regierung bei der Steuerreform eine Erhöhung der Arbeitsanreize nicht auf ihre Fahnen geschrieben. Zu heikel ist das Thema und zu groß die Angst, als herzlos dazustehen und womöglich den falschen Leuten Geld wegzunehmen. Firmen unter Generalverdacht zu stellen und im Punkt "Gegenfinanzierung der Steuerreform" ein absurd hohes Betrugsvolumen anzunehmen, geht hingegen leicht. Die daraus zu lukrierenden 1,9 Milliarden Euro sind aber Voodoo. Immerhin kriegen die steuerbefreiten Wenigverdiener künftig vom Staat Geld (Negativsteuer) geschenkt. Hoffen wir, dass es ein Anreiz ist, einen Job anzunehmen, statt Mindestsicherung oder Frühpension mit ein bisserl Pfusch zu kombinieren. Dieses Phänomen wird beim Wehklagen über die Schere zwischen Arm und Reich, Mann und Frau gerne vergessen. Übrigens hat kein anderes Land eine so hohe Grenze (11.000 Euro jährlich) bei der Steuerbefreiung.

Ja, es stimmt, die Arbeitslosigkeit steigt. Keinen Job (mehr) zu kriegen ist für die vielen Betroffenen ein Drama. Aber es finden umgekehrt auch viele Arbeitgeber keine Angestellten. Darüber sollte man gelegentlich ebenfalls reden.

Arbeitsunwillig

Solche (realen) Fälle gibt es: Ein Textilgeschäft in Leoben sperrt dieser Tage zu. Vier Monate lang ist es dem Inhaber nicht gelungen, eine Verkäuferin zu finden. Das Gehalt hätte 1700 Euro brutto für 35 Stunden betragen. Das AMS schickte Dutzende Frauen, doch ein Großteil war desinteressiert. Die Summe aus Sozialleistungen von Bund und Land, kleinen Nebenjobs und Geld vom (Ex-)Mann ist oft höher als das angebotene Gehalt. Bei einem Wiener Friseur wiederum könnte eine Teilzeitkraft mehr verdienen. Doch das strebt sie gar nicht an, weil dann die Wohnbeihilfe futsch wäre.

Gerade Frauen sind anfällig für so ein bequem-unbequemes Leben und haben damit nie Aussicht auf Unabhängigkeit und eine vernünftige Lebensverdienstsumme, inklusive eigener Altersversorgung.

Die Zahl der Arbeitsunwilligen und -unfähigen nimmt sogar zu: Immer mehr junge Leute verlassen die Schulen mit der Aussicht, ein Leben lang "angestellt beim AMS" – also arbeitslos – zu sein. Der Wille, daran aktiv etwas zu ändern, ist oft viel zu schwach. Sozialpädagoginnen, die solchen Jugendlichen wenigstens rudimentäre Dinge beizubringen versuchen, können ein Lied davon singen.

Die beiden Finanzminister von Deutschland und Österreich, Schelling und Schäuble, waren sich Donnerstagabend einig: Europa ist satt, alternd und risikoarm. Es herrscht Vollkasko-Mentalität.

Dazu passt auch die Begrüßungsformel auf etlichen heimischen Bürofluren zwischen 11 und 15 Uhr: "Maaahlzeit". Plus die rituelle Frage an die Fünfzig-plus-Kollegen: "Wie lang hast noch?" (bis zum Pensionsantritt nämlich). Wer "motiviert" (man könnte auch weniger freundliche Worte verwenden) die Trittbrettfahrer des Sozialstaates, statt es ihnen noch bequemer zu machen?

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