Unbegründete und begründete Ängste

Die Flüchtlingskrise überlagert fast alles andere. Leider wird sie nicht so schnell bewältigt sein.
Martina Salomon

Martina Salomon

Haben wir unsere staatliche Souveränität aufgegeben?

von Dr. Martina Salomon

über Asyl und andere Sorgen

Wird uns morgen noch interessieren, worüber wir uns heute aufregen? "Die Angst der Woche" (wie das Buch eines deutschen Soziologen hieß) ist meist schnell wieder verschwunden. Schlag nach bei Vogelgrippe, saurem Regen oder Ozonloch, das 2050 wieder geschlossen sein könnte. Gute Nachrichten machen jedoch weltweit weitaus weniger Schlagzeilen als "bad news", siehe VW. Doch in drei Monaten werden die Konsumenten "wieder alles vergessen" haben, meinte der bekannte Börsen-Stratege Heiko Thieme im Freitags-KURIER: "Wie haben wir uns vor Ebola gefürchtet, heute redet keiner mehr davon".

Aber werden wir in zehn Jahren auch über unsere Ängste in Zusammenhang mit der Flüchtlingskrise milde lächeln können? Leider ist das nicht so sicher, wenn man die schleppenden diplomatischen Bemühungen (auch in Wien) betrachtet. Möglicherweise erleben wir gerade Geschichte – eine, die Europa nachhaltig verändert.

Wie viele Flüchtlinge werden in Österreich um Asyl ansuchen? 80.000 sind vielleicht verkraftbar. Allerdings auch nur, wenn man darauf achtet, dass sie sich nicht konzentriert in jenen Regionen niederlassen, wo es schon jetzt massive Integrationsprobleme gibt: dort, wo Frauen, die seit Jahrzehnten hier leben, ihre Kinder als Dolmetscher beim Arztbesuch brauchen. Wenn zum Beispiel in Wien Rudolfsheim-Fünfhaus 40 Prozent der Einwohner wegen fehlender österreichischer Staatsbürgerschaft von der Wahl ausgeschlossen sind, dann muss man sich fragen, in welche Gesellschaft sich Zehntausende Neuankömmlinge integrieren werden. Wohl am ehesten in ihre eigenen ethnischen Gruppen, was Deutschlernen und Jobchancen erschwert.

"Apokalyptische Zahl"

In einer Wirtschaftsphase praktisch ohne Wachstum kann das zu schweren sozialen Konflikten führen. Österreich und Deutschland schaffen es nicht einmal mehr, ihre Grenzen zu sichern. Haben wir unsere staatliche Souveränität aufgegeben? Und es stehen einem die Haare zu Berge, dass bei der geplanten Umverteilung von 160.000 Flüchtlingen innerhalb der EU binnen eines Monats erst 86 Personen in andere Länder gebracht wurden. Man könne keine "apokalyptische Zahl" bewältigen, sagte ein Sprecher der EU-Kommission. Aber binnen zweier Tage sind allein knapp 11.000 von Slowenien nach Österreich gekommen. In Spielfeld herrscht Ausnahmezustand, auf beiden Seiten steigen die Aggressionen. Was jetzt?

Das relativiert alle anderen Ängste. So berichtete Greenpeace diese Woche von Pestiziden auf Äpfeln. Ja eh. Dank Spritzmittel haben wir aber auch keine wurmstichigen Äpfel mehr im Regal. Die Pestizidbelastung von heimischem Obst ist außerdem extrem gesunken, unsere Lebenserwartung gestiegen. Lassen wir uns von der Panikgesellschaft und ihren Lobby-Organisationen nicht ins Bockshorn jagen. Sie müssen momentan noch lauter schreien, weil es im Schatten der Flüchtlingskrise nun ganz andere Sorgen und Spendenströme gibt.

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