Rechts und Links sind endgültig von gestern

Die Flüchtlingskrise geht bestenfalls auf Winterpause. Der Gesprächsbedarf darüber bleibt größer denn je.
Josef Votzi

Josef Votzi

Rechts und Links sind endgültig von gestern.

von Josef Votzi

über die Flüchtlingskrise

Der britische Economist ist alles andere als ein Zentralorgan rot-grüner "Gutmenschen". Das weltweit renommierte Blatt hält die Fahne der freien Marktwirtschaft hoch. In Sachen Flüchtlingen plädierte es jüngst in einem Leitartikel: "Let them in und let them earn money." Die Begründung für den Appell an den britischen Premier, David Cameron, mehr Asylwerber ins Land zu lassen: Menschen, die bereit sind, für ein neues Leben anderswo alles stehen und liegen zu lassen, bringen die besten Voraussetzungen mit, in ihrer neuen Heimat Wirtschaft und Gesellschaft zu beflügeln. Sie sind auch schneller und leichter in der Lage, sich selber erfolgreich zu erhalten. Immigration, so der Economist, ist unterm Strich für jede Nation eine Bereicherung.

Peter Pilz ließ jüngst mit einer Wortmeldung aufhorchen, deren Absender man eher in der bayrischen Staatskanzlei vermutet hätte: "Ich will so wenig Flüchtlinge wie möglich. Ich stehe nicht an der Südgrenze und freue mich über jeden, der kommt." Der grüne Abgeordnete plädiert dafür, die Mittel für Flüchtlingshilfe vor Ort massiv zu erhöhen und geißelt Tempo und Bereitschaft Österreichs, dafür tiefer in die Kassa zu greifen. Denn, so Pilz: "Wir müssen unsere Ausländerpolitik ändern. Viele sagen mir: ,Ihr seid nur für die Ausländer da, nicht für uns.‘"

Meinungsaustausch statt Selbstbestätigung

2015 wird nicht nur als Dauer-Krisenjahr in Erinnerung bleiben. Es markiert endgültig das Ende der Selbst-Verständlichkeiten und ehernen Gewissheiten. Der gelernte Frontenverlauf zwischen Rechts und Links gilt auch in der Flüchtlingsfrage nicht mehr: Die deutsche christdemokratische Kanzlerin als Leitfigur der Willkommenskultur ("Wir schaffen das"). Der sozialdemokratische Premier Schwedens als Anführer der Bremser ("Es schmerzt mich, aber mehr geht nicht mehr").

Schluss der Debatte ist aber noch lange nicht. Die Flüchtlingskrise geht bestenfalls in die Winterpause: Die Zahl der Migranten nimmt wegen der rauen See und des kalten Wetters ab. Aber sie ist noch lange nicht vorbei. Der Gesprächsbedarf ist nach wie vor ungebrochen. Beim einschlägigen ORF-Bürgerforum saß diese Woche rund eine Million fast zwei Stunden vor dem Fernseher.

Den Medien kommt dabei mehr denn je eine hohe Verantwortung zu. Der ORF setzte sich beim Bürgerforum mit der Einladung von rechten Radaubrüdern ohne Not dem Verdacht vordergründiger Sensationslust aus. Das Thema ist hochemotional genug. Es gibt genug Bürger im Land, die in der Lage sind, ihre Sorgen zivilisiert zu formulieren.

Die Herausforderung, die sich an uns Medienmacher zunehmend stellt, ist eine ganz andere. In der Flüchtlingsfrage reden am liebsten die miteinander, die ohnehin gleicher Meinung sind. Über die, die total anders denken, wird lieber untereinander geredet. Selbstbestätigung und Blasenbildung dominieren auch die sozialen Medien. Wer, wenn nicht die guten alten klassischen Medien, sind – im Vollsinn des Wortes– mehr denn je als "Vermittler" zwischen den Meinungswelten aufgerufen.

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