Die neue Betulichkeit

Der Trend zur Nabelbeschau nutzt den Grünen. Gefühl ersetzt reale Politik.
Martina Salomon

Martina Salomon

Die Grünen punkten dieser Tage mehr mit Attitüde denn mit Politik.

von Dr. Martina Salomon

über die "neue Betulichkeit"

Sie tragen Kapuzenpulli und essen selbst gezogenes Gemüse: Die Grünen punkten dieser Tage mehr mit Attitüde denn mit Politik. Das Häschen auf dem Wahlplakat, das putzige Ferkel und der schöne Paradeiser weckten positive Emotionen, vor allem bei weiblichen Wählern. Im Wettbewerb der Lifestyle-Parteien trafen diesmal die Grünen besser die Gefühlslage ihrer Klientel als die Pinken. Fürs unerwartet gute Abschneiden der Ökos bei der EU-Wahl war diese Stimmungslage viel wichtiger als die solide Parlamentsarbeit von Spitzenkandidatin Ulrike Lunacek.

Die jungen, männlichen Modernitätsverlierer wählen Blau, lautet ein gängiges (Vor-)Urteil. Aber mit dem gleichen Recht könnte man behaupten: Modernitäts-ängstliche Frauen fühlen sich von den Grünen angezogen. Das sind die, die gerne Paulo Coelho oder Bücher wie "Darm mit Charme" lesen. Dass das Erstlingswerk einer deutschen Medizinstudentin zum Bestseller wurde, sagt viel über unsere übersättigte Gesellschaft aus.

Von diesem neuen Biedermeier-Gefühl profitieren die Grünen. Ihre Wähler leben zwar in der Stadt (und dem neuerdings veganen "Speckgürtel" drumherum), wollen aber wieder wie die Omi am Land leben. Diesen Trend nutzen auch die großen Handelskonzerne klug für sich, daher retten sie werbewirksam Bienen und bieten ein riesiges Sortiment für Ernährungsbesorgte an.

Es ist ja super, wenn man sich auf Regionalität besinnt, unsinnigen Chemikalieneinsatz und groteske Lieferwege eindämmt. Schön, wenn dabei auch noch die Gewinnspannen wachsen. Aber nur vom Bio-Gemüse aus dem regionalen Gärtlein werden die Österreicher nicht satt (und noch weniger die Weltbevölkerung). Auch wenn es ein wirklich gutes Gefühl wäre. Viele Wähler stimmen "aus dem Bauch heraus" für jene Partei, die dafür steht. Die SPÖ darf sich vor der kommenden Wien-Wahl schon fürchten (und die ÖVP sowieso).

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