Ist Gesundheit Privatsache?

Schleichend werden Patienten dazu gedrängt, ihre Behandlungen selbst zu zahlen.
Martina Salomon

Martina Salomon

Schleichend werden Patienten dazu gedrängt, ihre Behandlungen selbst zu zahlen.

von Dr. Martina Salomon

über das Gesundheitssystem

Österreich hat eines der besten Gesundheitssysteme der Welt, nicht wahr? Wer aus anderen Teilen der Welt zu uns kommt, ist schnell geneigt, das zu glauben. Und es stimmt ja auch (meist), wenn man ein Bein gebrochen oder einen Herzinfarkt erlitten hat. Aber längst nicht mehr für alle medizinischen Bereiche. "Während die zuständigen Politiker noch (ihr eigenes) Loblied singen, breitet sich hinterrücks Frust aus – bei Medizinern wie bei Patienten. Es ist eine schleichende Rationierung im Gange, immer öfter werden Kranke dazu gedrängt, Kosten privat zu übernehmen. Und vieles, was möglich wäre, wird nicht finanziert, mit durchaus leidvollen Folgen für Betroffene.Sie haben jetzt gerade ein Schilddrüsenproblem? Als Kassen-Patient werden Sie einen Untersuchungstermin zirka im Dezember bekommen. Bei einem Privatarzt geht’s schneller. Sie haben einen akuten Bandscheibenvorfall und rasende Schmerzen? Ein MRT ist leider erst in sieben Wochen möglich, außer Sie zahlen bar. Sie sind Krebspatient mit chronischen Schmerzen? Leider – aus Kostengründen wurden Schmerzambulanzen geschlossen. Ähnlich traurig schaut es am Ende des Lebens aus. Seit Jahren wird über den Ausbau von Palliativ-Abteilungen in Spitälern geredet, doch keiner will dafür zahlen. Private und kirchliche Einrichtungen springen ein.

Nein, das ist kein Plädoyer gegen die Privatmedizin: Warum sollte, wer privat zahlt, nicht auch Vorteile genießen? Immerhin finanzieren Privatpatienten einen steigenden Anteil des öffentlichen Gesundheitsbetriebs (müssen aber – umgekehrt – als "Melkkuh" auch mit unnötigen Behandlungen rechnen). Die Privatisierung der Grundversorgung ist jedoch keinesfalls in Ordnung.

Ärzteflucht aus dem öffentlichen System

Was ja mindestens so dramatisch ist: Immer mehr (gute!) Ärztinnen und Ärzte flüchten aus dem öffentlichen Gesundheitssystem. Arbeitsklima, Bezahlung und Karrieremöglichkeiten verschlechtern sich laufend. Die Patientenbetreuung leidet. Gleichzeitig erhöht sich die Zahl schwieriger Patienten: multimorbide Kranke und Migranten mit schlechtem Gesundheitszustand und extremen Verständigungsschwierigkeiten sitzen in den Wartezimmern. Plus Patienten mit übertriebenen Ansprüchen ans Gesundheitswesen.

Auch die Einführung von "primären Gesundheitszentren" (PHC – Primary Health Care) klingt besser, als die Wirklichkeit aussehen könnte. Längere Öffnungszeiten bei niedergelassenen Ärzten sind zwar ein Vorteil für Patienten und entlasten die Spitäler. Andererseits wird die Betreuung anonymer, wenn ärztliches Personal im Schichtdienst ordiniert. Außerdem könnten die PHCs eine Umgestaltung des gesamten Hausarzt-Systems einleiten. In ein, zwei Jahrzehnten haben dann profitorientierte Unternehmen die Gesundheitsversorgung übernommen. Wollen wir das?

Der KURIER zeigt ab heute die Baustellen in der Gesundheitspolitik auf und bringt Lösungsvorschläge.

Kommentare