In der EU herrscht wieder das Faustrecht

Orbans Gulasch-Populismus obsiegt. Eine Niederlage für die Humanität – und Asyl-Vorzeigeländer wie Österreich.
Josef Votzi

Josef Votzi

In der EU herrscht wieder das Faustrecht.

von Josef Votzi

über Orbans Gulasch-Populismus

Montagabend saß er unauffällig als Ehrengast in der ersten Reihe in der Orangerie von Schloss Schönbrunn, um Wolfgang Schüssels 70er zu feiern. Zurück in Budapest goss Viktor Orban Öl ins Feuer: Ungarn lässt künftig Flüchtlinge weder mehr rein, noch nimmt es welche zurück. Auf Druck Brüssels rudert es inzwischen etwas zurück. Orbans Gulasch-Populismus wird nun aber in der ganzen EU salonfähig: Statt einer gerechten Verteilung von Flüchtlingen regiert in der vorgeblich solidarischen Friedensunion wieder das Faustrecht des Stärkeren. Der Koalitionskrach um Bezirksquoten und Boulevardpolitik war eine "humanitäre Niederlage" (Landau). Das Scheitern des EU-Flüchtling-Gipfels ist ein Desaster. Es droht die EU um Jahrzehnte zurückzuwerfen, wenn nicht zu zerreißen.

Doppelt so viele wie 2014

185.000 Menschen stellten allein im ersten Quartal 2015 einen Asylantrag, das sind fast doppelt so viele wie 2014. Den größten Zuwachs gab es in Ungarn, Österreich, Deutschland und Italien. In Italien strandet, wer den Weg übers Mittelmeer nimmt. Wer über den Balkan kommt, landet in Ungarn. Beide Länder wären als EU-Erstaufnahmeländer verpflichtet, vor Ort das Recht auf Asyl zu prüfen und Flüchtlinge, die weiterreisen, zurückzunehmen. Die "Dublin-Regel" ist längst Chimäre. In Sachen Flüchtlinge gilt wieder das Recht des Stärkeren. Italien und Ungarn geben den massiven Migrationsdruck, unter dem sie selber stehen, an die Nachbarländer – allen voran Deutschland und Österreich – weiter. Darüber gab es vorgestern Nacht in Brüssel eine sehr emotionelle Debatte.

Keine Quote

Nachbarländer wie Tschechien und die Slowakei, die nur handverlesen Asylwerber nehmen, verweigern via Quotenregelung, mehr zu nehmen. 60.000 Flüchtlinge sollen nun "freiwillig" verteilt werden. Eine Marginalie angesichts dessen, dass es heuer bis zu einer Million im Europa der 500 Millionen werden könnten."Dieses Europa könnt ihr behalten"Nach dem desaströsen EU-Asyl-Gipfel stellen immer mehr Politiker offen die Frage, die auch Wohlmeinende bewegt: Wie viele Flüchtlinge kann ein Land ohne soziale Eruptionen verkraften? Einfache Antworten sind auch hier rar. Eines ist unverrückbar: Sie müssen Anstand und Humanität wahren. "Grenzen dicht" kann keine Dauerlösung sein. Mehr Konsequenz aber auch bei Einhaltung der Regel sein: Ohne Asylgrund gibt es kein Recht, zu bleiben.

Fehlende Fairness

Überfällig bleibt aber die faire Verteilung der Lasten. Lässt die EU weiter aus, müssen bilaterale Abkommen mit Nachbarstaaten wie Italien, Tschechien und der Slowakei her. Sonst kommt es zum ruinösen Verdrängungswettbewerb, wer macht erst klammheimlich und bald offen die Grenzen innerhalb der EU schneller dicht. Not und Elend, die zuvorderst in Syrien immer mehr Menschen in die Flucht treiben, kennen keine Pause. Europa hat eine menschliche Antwort darauf einmal mehr vertagt. Italiens Premier Matteo Renzi benennt den Schaden, den die Bremser einer europaweiten Flüchtlingsquote von David Cameron bis Donald Tusk damit auf Dauer anrichten, klipp und klar so: "Wenn das eure Idee von Europa ist, könnt ihr es behalten, ohne Solidarität verschwendet ihr unsere Zeit."

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