Heldenplatz – Belvedere – und heute?

Jubelnde Menschen – erst für einen Diktator und dann für die errungene Freiheit. Haben wir daraus gelernt?
Helmut Brandstätter

Helmut Brandstätter

Haben wir daraus gelernt?

von Dr. Helmut Brandstätter

über Österreichs Geschichte

250.000 Menschen waren es angeblich, die am 15. März 1938 am Heldenplatz jubelten, als Adolf Hitler "vor der Geschichte den Eintritt seiner Heimat in das deutsche Reich meldete". 17 Jahre später, nach Weltenbrand, Holocaust und 70 Millionen Kriegstoten, waren in Wien die Menschen wieder auf der Straße. Am 15. Mai 1955 konnten sie es nicht erwarten, bei der Unterzeichnung des Staatsvertrages dabei zu sein. Ab 7 Uhr früh pilgerten die ersten zum Belvedere, wie es in Radioreportagen hieß. Es waren deutlich weniger, einige Zehntausend, berichten Augenzeugen. Der Herr Karl, der Opportunist, den Carl Merz und Helmut Qualtinger zu Papier brachten, sah den Tag so: "Da san ma zum Belvedere zogn, san dagstandn, lauter Österreicher, wie im Jahr 1938, eine große Familie, schon a bisserl a klaanere, weil des Belvedere is ja klaner als der Heldenplatz und die Menschen waren reifer geworden."

KURIER-Autor Georg Markus beschreibt heute, wie die Politiker vor genau 70 Jahren buchstäblich zwischen den brennenden Trümmern des kleinen Landes, das nach dem 1. Weltkrieg als nicht lebensfähig galt, ein erfolgreiches Staatswesen organisierten. Gemeinsame Erfahrungen aus den Konzentrationslagern der Nazis waren hilfreich, dass daraus auch eine rot-schwarze Packelei wurde, gehört hingegen zu den kaum ausrottbaren Verfehlungen der ersten Stunden (siehe Seiten 4/5).

Aber auch heute noch muss uns eine Frage bewegen: Warum war es so leicht für einen Ver-Führer, aus vielen Menschen zunächst widerliche Alltagsfaschisten zu machen, die ihre jüdischen Nachbarn quälten und beraubten und schließlich dem totalen Krieg zujubelten? Sogar die Befreiung im Jahr 1945 wurde noch von vielen als Niederlage gesehen, die Freiheit des Mai 1955 war erst die zweite Wahl.

Mühsame Demokratie statt Diktatur

Würde die Antwort auf diese Frage in der misslichen sozialen Lage der 1930er-Jahre gesucht oder gar gefunden, müssten wir vorsichtig werden. Denn das würde bedeuten, dass von der nächsten größeren Wirtschaftskrise wieder diejenigen profitieren, die einzelne Gruppen der Bevölkerung gegeneinander aufhetzen und Minderheiten bedrohen. Hat das ohnehin schon begonnen, oder haben wir die Geschichte Österreichs verstanden?

Bundespräsident Heinz Fischer übt im heutigen KURIER-Interview in seiner stets vorsichtigen Art sanfte Kritik am politischen Führungspersonal. Wir brauchen deutlich mehr Mut zu nachhaltigen Reformen, aber vergessen wir nicht: Am schlechtesten erging es dem Volk, als Hetze und Hass Erfolg hatten. Überall auf der Welt, wo ein sogenannter "starker Mann" an die Macht kommt, ob in Gestalt eines "Geliebten Führers" oder auch demokratisch legitimiert, folgen zunächst primitiver Personenkult, dann Not und Elend, Ausgrenzung eines Teils der Bevölkerung und oft auch noch Krieg. Diejenigen, die vor 60 Jahren vor dem Belvedere gejubelt haben, haben es verstanden. Und wir heute auch, oder?

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