"Grenzen dicht" kostet mehr als eine hehre Idee

Die tägliche Warnung vorm "Aus für Schengen" mag viele kaltlassen. Am Ende droht das böse Erwachen für alle.
Josef Votzi

Josef Votzi

Bei 'Aus für Schengen' droht das böse Erwachen: 'Grenzen dicht' kostet mehr als eine hehre Idee.

von Josef Votzi

über die Suche nach neuen Rezepten gegen den Flüchtlingsstrom

Klare Regeln und genaue Kontrollen, wer da zu uns will; Zurückweisung von Trittbrettfahrern unter den Flüchtlingen; mehr Abschiebungen von abgelehnten Aylwerbern – das alles war überfällig. Denn erst kippt die Stimmung, dann sinkt die Bereitschaft zu helfen. Es kann nicht oft genug gesagt worden: Professionelle und private Helfer leisten Unglaubliches. Seit der sexistischen Menschenjagd durch Asylwerber in der Silvesternacht, überfielen aber selbst Gutwillige Zweifel.

Die Versuchung der Politik ist groß, die zunehmende Stimmung der Ernüchterung in möglichst viele Stimmen umzumünzen. Nächster Halt, 24. April 2016: Alle Zeichen stehen darauf, dass die Hofburg-Wahl als Asyl-Volksabstimmung missbraucht wird. ÖVP-Kandidat Andreas Khol propagiert, frei nach FPÖ-Mastermind Herbert Kickl: Das Gebot der "Nächstenliebe" müsse zuvorderst "für unsere Leut’" gelten. Und: Wer gegen den "erstklassigen" Koalitionsbeschluss, Flüchtlings-Obergrenzen einzuziehen, opponiere sei "letztklassig". Die anderen Kandidaten werden sich ähnlich grell pro und contra positionieren, wollen sie nicht schon im ersten Wahlgang untergehen. Aber spricht so ein künftiger Bundespräsident, dessen Job es ist, für alle Österreicher zu stehen und seine Landsleute nicht noch tiefer in zwei unversöhnliche Lager zu spalten?

10 Milliarden Schaden bei Grenzbalken runter

Der Ton macht auch hier die Musik. In einem Klima der Angst und Unsicherheit muss mehr denn je offen und ohne Tabus geredet werden. Aber nicht mit Herz in der Hose, sondern mit Herz und Hirn. Deutschland, Österreich und Schweden können nicht allein Zielhafen des Flüchtlingsstroms bleiben. Johanna Mikl-Leitners jüngster Vorstoß in der EU, Griechenland befristet aus der Schengen-Zone zu werfen, sucht einmal mehr Druck auf Athen zu machen: Alexis Tsipras soll beim Grenzschutz und dem Aufbau von Hotspots endlich ernst machen und mehr Hilfe annehmen. Denn nur mit dem Stinke-Finger auf die bei der Grenzkontrolle nachlässigen Türken zu zeigen wird auf Dauer nicht reichen.

Wer als Antwort "Grenzen dicht" in der ganzen EU und damit generell ein "Aus für Schengen" fordert, wie bislang allein Orban, Strache & Co, muss aber auch beantworten, wie er mit den "Kollateralschäden" fertigzuwerden gedenkt. Die Chefs deutscher Unternehmerverbände, die nicht unter billigem "Gutmenschen"-Verdacht stehen, warnen massiv vor dem Ende offener Binnengrenzen und rechnen allein in Deutschland mit zusätzlichen Kosten von zehn Milliarden Euro. Eine drohender Riesen-Schaden, plausibel gemacht an einem kleinen Beispiel: Mit der totalen Öffnung der EU-Binnengrenzen hatten Firmen ihre Versorgung mit Rohstoffen und Zuliefer-Teilen von teurer Lagerhaltung auf billige Just-in-time-Lieferung umgestellt. Geschlossene Grenzen heißen: Kommando retour.

Die tägliche Warnung aus Brüssel vorm "Aus von Schengen" mag viele weiterhin kaltlassen. Am Ende könnte aber das böse Erwachen für alle stehen: "Grenzen dicht" kostet mehr als den Verlust einer hehren Idee.

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