Fotos: Aufklärung statt Voyeurismus

Wir bekommen täglich Fotos, die die Würde von Menschen verletzen. Und werden sie weiter nicht zeigen.
Helmut Brandstätter

Helmut Brandstätter

Die Macht der Bilder ist unbestritten, die Absicht, aufzurütteln, ehrenhaft.

von Dr. Helmut Brandstätter

über die sorgfältige Auswahl von Fotos

"Der Weg zur Wirklichkeit geht über Bilder", schrieb der Nobelpreisträger Elias Canetti. Er dachte da eher an Gemälde, aber wir sind heutzutage weniger von der Kunst geprägt als von aktuellen Bildern, die uns täglich erreichen, im Fernsehen, am Handy und in der Zeitung. Die politische Propaganda spielt mit der Wirkung der Bilder, in Diktaturen und auch Demokratien. Umso vorsichtiger muss der Journalismus damit umgehen, gerade wenn auf unhaltbare Zustände aufmerksam gemacht werden muss.

Wer sich darauf eingelassen hat, musste seit Monaten von den Fotos aus dem Mittelmeer schockiert sein. Überfüllte Schlauchboote, angeschwemmte Leichen, Verzweifelte in Lampedusa. Aber in Österreich begann die Debatte darüber, was öffentlich gezeigt werden darf, erst angesichts der Fotografie über die Erstickten im Kühlwagen an der Ostautobahn. Abgesehen von der offenbar illegalen Verbreitung eines Polizeifotos hat der Anblick von Leichen in einem Lkw weder Informationswert, noch trägt er zur Aufklärung bei.

Seit Mittwochabend sind im Internet Aufnahmen zu sehen, die einen toten Buben auf einem türkischen Strand zeigen. Seriöse Zeitungen und TV-Sender auf der ganzen Welt haben das Bild veröffentlicht, wir haben entschieden, auf dieses Foto zu verzichten, und bringen ein anderes, wo die Leiche des Buben, wenig sichtbar, von einem Uniformierten weggetragen wird.

Die Geschichte spricht auch hier ihr Urteil

Die Macht der Bilder ist unbestritten, die Absicht, aufzurütteln, ehrenhaft. Aber wo endet der gute Zweck? Und wie wird die Würde von Menschen gewahrt, die ums Überleben kämpfen? Da gibt es nur eines: Aufklärung statt Voyeurismus, Erklärung statt Erniedrigung, wobei jeder Interessierte im Internet jedes Foto finden kann. Auch welche vom ungarischen Ministerpräsidenten Orbán. Die Art,wie er am Donnerstag in Brüssel völlig kalt und unbewegt das Chaos in seinem Land als Abfolge bürokratischer Maßnahmen kommentierte, war schockierend und hat seine Politik besser erklärt als jede Analyse.

Erst Jahre später kann man beurteilen, ob ein Foto den Gang der Geschichte beeinflusst hat. Das berühmte "Napalm-Mädchen" – eine 9-jährige Vietnamesin, die sich nach einem Napalm-Angriff der Amerikaner die Kleider vom Leib reißt – ist ein Symbol des Vietnam-Krieges. Es hat die Öffentlichkeit in den USA im Sommer 1972 schockiert, den Krieg aber nicht beendet.Und Richard Nixon wurde im Herbst darauf klar wiedergewählt.

Fotos von Auschwitz muss man zeigen. Die geplante und industrielle Ermordung von Millionen Juden in den Konzentrationslagern ist und bleibt noch immer unfassbar. Umso wichtiger ist es, weiter darüber zu berichten. Wobei eine Filmszene, in der eine Mutter sich entscheiden muss, welches ihrer beiden Kinder sie opfert, grausamer sein kann als ein Leichenberg.

Die Verantwortung für die sorgfältige Auswahl von Fotos trifft uns täglich. Das ist uns bewusst.

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