Fakten suchen – das bleibt unsere Aufgabe

Das Internet jagt uns schneller, als uns lieb ist. Das darf keine Ausrede sein, wir müssen täglich lernen.
Helmut Brandstätter

Helmut Brandstätter

Fakten suchen – das bleibt unsere Aufgabe

von Dr. Helmut Brandstätter

über Sekundenjournalismus

Heute vor einer Woche, knapp vor Mittag, kam die Meldung, dass ein Flugzeug über Südfrankreich abgestürzt ist. In den Redaktionen begann eine gewisse Routine: Fakten recherchieren, Fotos suchen, Karten und Grafiken gestalten, neue Erkenntnisse online stellen, in unserem Fall auf KURIER.at.

Die Pressekonferenz des französischen Staatsanwalts Brice Robin am Donnerstag änderte die Berichterstattung von Grund auf. Denn er sprach nach Auswertung des Voice-Recorders den Co-Piloten Andreas L. im Prinzip schuldig, das Flugzeug absichtlich zum Absturz gebracht zu haben. Der Staatsanwalt buchstabierte den Namen – also haben auch wir ihn online gestellt. Fotos kursierten, auch wir brachten sie. Erste Berichte aus der Heimat des Co-Piloten wurden publiziert – wir zitierten. Haben wir alles richtig gemacht? Darüber wird in der Redaktion seit Tagen diskutiert, unsere Leserinnen und Leser sollen daran teilhaben.

Niemand arbeitet fehlerlos. Wer die Geiselnehmer von Gladbeck im Sommer 1988 als Reporter mit der TV-Kamera verfolgt und sich später dafür geniert hat, weiß das am besten. Gerade Journalisten lernen ständig dazu, weil es zwar Grundsätze, aber nicht für jedes Ereignis einen genauen Verhaltenskodex gibt. Im Zeitalter des Internets und der Online-Blogs ist der Zeitdruck noch viel größer als früher. Also schrieben wir den Namen des Co-Piloten sofort auf KURIER.at. Richtig? Im Rückblick eher nicht, da andere Personen den selben Namen tragen und Verwandte zu schützen sind. Als Konsequenz einer Diskussion in der Redaktion kürzten wir den Namen später ab, auch in der gedruckten Zeitung. Und das Foto? Nach mehreren Rückfragen war klar, das Foto vor der Golden-Gate-Bridge zeigt wirklich den Co-Piloten. Im Netz kursierten auch andere und fanden sich auf Titelseiten. Wir sind auch heute noch der Meinung, dass es richtig war, das Foto zu zeigen. Bei einer derartigen Katastrophe haben die Leser ein Recht auf umfassende Information, und dazu gehörten auch persönliche Details, von Fotos bis zur Krankengeschichte des Mannes.

Verschwörung – nicht unser Geschäftsmodell

Was ist die Alternative zu Information? Die Spekulation, die schnell zur Verschwörung wird, und die verbreitet sich im Internet besonders schnell. Ein deutscher Verlag, der Jörg Haiders Tod als Werk von Mossad und Freimaurern beschrieb, als Beweis Zahlenmystik anbot, dabei aber kein Wort über Alkohol und Geschwindigkeit verlor, ist schon auf der Fährte. Wobei ja nur Fragen gestellt werden. Etwa die, ob der französische Präsident Hollande nicht von einer Ablenkung von seinem miserablen Umfragen profitieren würde.

Windige Verlage, die stolz darauf sind, nicht "Mainstream" zu sein, brauchen gruselige Theorien. Wir können gerade unter der Bedrohung des Sekundenjournalismus nur mit ehrlicher Suche nach der Wahrheit überleben. Das wird Fehler nicht verhindern, aber mit jedem Fehler und jeder Kritik lernen wir. Offen und ehrlich.

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