Europa, eine kleine Halbinsel von Asien

Die Wirtschaft boomt in Asien, nicht als verlängerte Werkbank, sondern mit innovativen Unternehmen.
Helmut Brandstätter

Helmut Brandstätter

Europa schaut den Chinesen hilflos zu

von Dr. Helmut Brandstätter

über das Wirtschaftswunder China

Es war im April 1993, als mit Franz Vranitzky erstmals ein österreichischer Regierungschef die Volksrepublik China besuchte. Ein paar Erinnerungen des Reporters von damals: Shenzhen, die Sonderwirtschaftszone in Südchina, war ein Jahr nach der berühmten Reise von Deng Xiaoping eine Zukunftshoffnung – heute bildet Shenzhen gemeinsam mit Hongkong ein 20-Millionen-Menschen-Wirtschaftszentrum. In Schanghai zeigte der Bürgermeister die Planungen für den Stadtteil Pudong jenseits des Huangpo-Flusses, die längst abgeschlossen sind, und in Peking wurde Vranitzky von Ministerpräsident Li Peng empfangen, einem Mitverantwortlichen des Massakers am Platz des Himmlischen Friedens.

Das Trauma vom Tiananmen haben die Mächtigen der auf Kapitalismus getrimmten Kommunistischen Partei noch nicht abgelegt. Kein Platz der Erde wird so gut bewacht wie der Eingang zur Verbotenen Stadt, das Tor des Himmlischen Friedens. Aber belastender als die Angst vor demokratischen Bewegungen sind die Eifersüchteleien unter den superreichen Kommunisten. Wenn in Peking Volkskongress und Konsultativversammlung tagen, um über die chinesische Spielart eines kommunistischen Kapitalismus zu diskutieren, sind unter den rund 5000 überwiegend männlichen Delegierten über 80 Dollar-Milliardäre. Sie sind erfolgreiche Nachfolger Deng Xiaopings, der das "Bereichert euch" zwar Bauern zugerufen hat, aber durch die Sonderwirtschaftszonen die Grundlage für das chinesische Wirtschafts-, Politik- und Sozialexperiment gelegt hat.

Europa schaut den Chinesen hilflos zu

Und das Experiment geht machtpolitisch weiter. Wenn die chinesische Führung gerade eine Tagung nach dem Vorbild von Davos abhält, kommen Spitzenmanager und Politiker aus der ganzen Welt (siehe Bericht auf den Seiten 8, 9). Sie sollen sehen, was die Berater von McKinsey im Auftrag des deutschen manager-magazins ausgerechnet haben: Die meisten der besonders dynamischen Unternehmen erobern von Asien aus die ganze Welt, gerade auch Chinesen. Sie produzieren schon lange nicht mehr, was in den USA oder Europa ausgedacht wird, sondern sind vor allem in Zukunftsbranchen erfolgreich, von Pharma über Biotech bis zur Software. Jack Ma hat mit seinem Internethandel Alibaba den größten Börsegang der Geschichte geschafft und liegt in der Liste an erster Stelle. Die Amerikaner können unter den Top Ten mit Apple oder Biogen noch mithalten, die Europäer nur mit dem Schweizer Luxuskonzern Richemont. Lieb – oder hilflos – ist da die Aussage von Internet-Kommissar Günther Oettinger: "Europa braucht dringend einen digitalen Binnenmarkt, um ganz vorne mitspielen zu können." Gut, aber wann fangen wir an?

Die chinesische Gesellschaft steht auch vor riesigen Problemen: Umweltschutz, Korruption, Ungleichheit. Aber man hat den Eindruck, sie verstehen ihre Herausforderungen besser als unsere Politik die unseren.

Kommentare