Erdogans Machtspiel auf dem Rücken der Kurden

Der türkische Präsident soll den IS bombardieren lassen, aber nicht den Friedensprozess in der Türkei zerstören.
Walter Friedl

Walter Friedl

Europa muss Erdogan drängen, nicht die letzten Reste des Friedensprozesses mit den Kurden zu zerstören.

von Mag. Walter Friedl

über den türkischen Feldzug

Tayyip Erdogan setzt wieder einmal alles auf eine Karte, doch es ist ein riskantes Spiel, auf das sich der türkische Präsident eingelassen hat. Dass er endlich die Kämpfer der Terrormiliz "Islamischer Staat" (IS) in Syrien bombardieren lässt, ist ein längst überfälliger Schritt – diese Schlächter verstehen keine andere Sprache als die der Gewalt. Dass er gleichzeitig aber auch Stellungen der türkischen Kurden-Guerilla PKK angreifen, Kurden-Dörfer in Nordsyrien beschießen lässt und gegen kurdische Aktivisten im eigenen Land ein Kesseltreiben veranstaltet, ist, gelinde gesagt, kontraproduktiv.

Gewiss, die PKK wird auch von der EU als Terror-Organisation eingestuft, sie aber in einen Topf mit den IS-Halsabschneidern zu werfen, ist eine Chuzpe. Und mehr als 30 Jahre bewaffnete Auseinandersetzung sollten eigentlich auch die letzten Hardliner in Ankara überzeugt haben: Militärisch ist das Kurden-Problem nicht zu lösen.

Aber Erdogan schwebt ohnehin etwas anderes vor. Er will einerseits das staatsähnliche Gebilde der nordsyrischen Kurden, das ihm ein Gräuel ist, schwächen. Und dort möglicherweise sogar eine Pufferzone einrichten. Wobei die Kurden dort die Einzigen sind, die dem IS die Stirn bieten. Andererseits kommt ihm eine aufgeheizte, instabile innenpolitische Lage entgegen. In dieser Situation könnte er Neuwahlen ausrufen – nach dem Verlust der absoluten Mehrheit im Vormonat startete die Regierungspartei AKP die Koalitionsverhandlungen ohnehin nur widerwillig. Das Kalkül des Staatspräsidenten, der eigentlich unparteilich sein sollte: Auf einer nationalistischen Welle könnte die AKP an frühere Erfolge anknüpfen.

Möglich, dass dieses Vabanque-Spiel aufgeht, doch zu welchem Preis? Der Friedensprozess mit den Kurden liegt in Scherben. Die Europäer müssen Erdogan drängen, nicht noch auch die letzten Reste zu zerstören.

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