Empört euch über Wichtigeres!

Das Recht auf frühe Pension wird wütend verteidigt, und die Politik knickt ein. Sonst keine Probleme?
Martina Salomon

Martina Salomon

Sonst keine Probleme?

von Dr. Martina Salomon

über Empörung

Vor zwei Tagen stand an dieser Stelle ein Kommentar, der den frühen Pensionsantritt der Österreicher kritisierte. Die Reaktion der Leser reichte von: "auf Pensionisten herumtrampeln", "Pauschalverurteilung" bis zu: "Jung gegen Alt auszuspielen ist ein schmutziges Spiel". Was die Autorin ahnen lässt, warum die Politik dieses heiße Eisen so ungern anfasst.

Aber wollen wir wirklich, dass langfristig der größte Teil des Bruttosozialprodukts von den Pensionskosten aufgefressen wird? Klar, "Jobs für Ältere wachsen nicht auf den Bäumen" (ein KURIER-Leser-Posting). Es bedarf daher einer nationalen Anstrengung, die Frühvergreisung nicht als eine Art Menschenrecht anzusehen. Oder kennen Sie eine andere Stadt, wo man wie in Wien ab dem 61. Geburtstag automatisch einen verbilligten Seniorentarif für die Straßenbahn bekommt? Liest man denn nicht dauernd, dass "Sechzig das neue Vierzig ist"? Klar, wer seit seinem 15. Lebensjahr auf einer Baustelle geschuftet hat, ist in diesem Alter nicht mehr fit. Aber im Zeitalter der "Industrie 4.0", also der digitalen Revolution, wird körperliche Schwerarbeit seltener.

Doch darüber ohne Emotion zu diskutieren, geht offenbar kaum. Das betrifft auch andere Themen. TTIP? Empörung! Gentechnik? Empörungssturm! Fracking? Empörungsorkan! Es wäre Aufgabe der Politik, für eine Versachlichung zu sorgen, statt (wie leider oft auch der Kanzler selbst) auf den Populismuszug aufzuspringen.

Die Faust in der Hosentasche

Noch haariger ist die Integrationsdebatte: Hier klaffen die Ansichten von Politik & Medien und Bürgern immer weiter auseinander. Um keine Austria-Pegida aufkommen zu lassen, organisiert die etablierte politische Kaste vorsorglich Gegendemos, und – juhu – die sind größer. Doch wer die brodelnde Empörung in den Untergrund drängt, bekommt die Rechnung am Wahltag präsentiert. Kann man denn die Sorge vor Masseneinwanderung in den Sozialstaat, wachsender Gettoisierung unterprivilegierter Gruppen und islamistische Unterwanderung sachlich besprechen? Ja, warum denn nicht?

Und dann gibt es noch Themen, über die sich Empörung lohnen würde, die aber niemanden bewegen, weil wir uns damit abgefunden haben: zum Beispiel die Zerstörung Österreichs. Diese reicht von Verhüttelung und Verstandelung bis zu gesichtsloser, maximal verdichtender Bauträgerarchitektur. Österreich ist Europameister bei der Verbauung von Agrarflächen. Oder: KURIER-Kommentare über schlechte Bedingungen an heimischen Unis schlagen im Gegensatz zum Pensionsthema keine Wellen. Allen wurscht, kaum Leserreaktionen.

Recht erstaunlich ist auch, wie kalt den gelernten Österreicher die Zementierung politischer Verhältnisse lässt. Siehe die Finte der SPÖ, einem willfährigen Grünen ein rotes Mandat anzubieten und damit ein neues Wahlrecht zu blockieren. In Wien ist ein alter Diktatoren-Traum verwirklicht: Wurscht, was die Bürger wählen, am Ende ändert sich nix. Empört euch!

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