Dieses Wahldebakel ist eine Riesenchance

Morgen die nächste Wählerohrfeige: Zeit, endlich offen, aber beherzt über verdrängte Asylfragen zu reden.
Josef Votzi

Josef Votzi

Das absehbare Wahldebakel für Schwarz und Rot ist eine Riesenchance über die Flüchtlingsfrage offen aber beherzt zu reden

von Josef Votzi

über den morgigen Wahlsonntag in Oberösterreich

Im Linzer Landhaus machte sich zunehmend Verzweiflung breit. Je länger der Wahlkampf dauerte, desto schlechter schnitt die Landeshauptmann-Partei in Umfragen ab. 2003 hatten Privatisierungspläne der Voest Josef Pühringer das Ergebnis verhagelt. 2009 konnte er die Schlappe mehr als wettmachen. Jemand, der ihm eine Wiederholung streitig machen sollte, war nicht in Sicht. Nun soll solid unauffälliges Regieren plötzlich dramatische Verluste bescheren? Pühringer machte zuletzt panisch bei Landsmann Mitterlehner Druck zu retten, was noch zu retten ist. Der ÖVP-Chef trommelte flankiert von drei Ministern: "Kein Asyl à la carte. Die ÖVP-Abgeordneten hielten gleichlautende Stopptafeln in die Kameras. Der Last-minute-Aktionismus dient allein der Beruhigung der Funktionäre: Wir haben bis zuletzt gekämpft. Stimmen werden so nicht mehr bewegt.

Dass das Megathema Flüchtlinge alles überlagert, kann seit dem 31. Mai für niemanden mehr eine Überraschung sein. Damals wurde das steirische Duo Voves & Schützenhöfer für das Chaos in Traiskirchen abgestraft. Über die Steiermark sprachen die Funktionäre. Die Wähler bewegte nur eines: Wird ganz Österreich Traiskirchen?

Ab Richtung Faustrecht oder neue Streitkultur

Diejenigen, die überzeugt waren, dass auch die derzeitige Flüchtlingswelle mit gutem Willen noch zu schaffen ist, fanden sich am Westbahnhof ein, sammelten Kleider oder spendeten Geld. Diejenigen, denen die täglich neuen Bilder von Tausenden an Österreichs Grenzen Gestrandeten immer mehr Angst machten, wurden mit ihren Bedrohungsgefühlen und Verlustängsten von den Regierenden bis heute weitgehend alleingelassen. Dabei gäbe es viel zu bereden. FPÖ-Sicherheitslandesrat Johann Tschürtz ließ sich im burgenländischen Wahlkampf demonstrativ an einem alten Grenzbalken fotografieren – Parole: "Dichtmachen". Jetzt, wo auch ein Grenzzaun in Ungarn niemanden aufhält, ist der Maulheld verstummt.

Oberösterreichs machtbewusste ÖVP wird als Nächste die Rechnung für die zu lange verdrängte Asylfrage zahlen. Die Auseinandersetzung, was ein für beide Seiten menschengerechter Umgang mit Flüchtlingen ist, wird ab morgen heftiger denn je werden. Diese ist klar und tabulos, aber auch ohne Hetze und Hass zu führen. Der KURIER hatte gestern einen ehemaligen bosnischen Kriegsflüchtling eingeladen, die von der FPÖ initiierte Asyldebatte im Hohen Haus zu bewerten. Sein scharfsichtiger Befund: "Wenn Sie diese Parlaments-Diskussion 1:1 im Wirtshaus führen, fliegen die Fäuste." Sein nachdenkliches Aber: Die Auseinandersetzung um das Flüchtlingsthema könnte "in unserem konsensverliebten Österreich sogar eine Chance sein: Streitkultur im richtigen Maß kann einem Land sogar guttun."

Ob wir Richtung bessere Streitkultur oder Comeback des Faustrechts abbiegen, ist längst nicht mehr allein Sache der Berufspolitiker. Die überfällige Entscheidung, wohin Österreich an dieser historischen Weggabelung steuert, haben wir alle in der Hand.

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