Die Kirche wartet noch auf Erlösung

Vor 20 Jahren trat der Fall Groer eine Lawine los. Tausende Opfer sind entschädigt, die Kardinalfragen blieben liegen.
Josef Votzi

Josef Votzi

Die Kirche wartet noch auf Erlösung

von Josef Votzi

über den 20. Jahrestag des Missbrauchs-Skandals Kardinal Groer

Sein erstes Oster-Hochamt hat Christoph Schönborn bis heute als bedrückend in Erinnerung. Auf dem Papier war Kardinal Hans Hermann Groer noch Hausherr im Wiener Stephansdom. Den Oster-Gottesdienst hatte der designierte Nachfolger bereits allein zu zelebrieren. Der wenige Tage zuvor des sexuellen Missbrauchs beschuldigte Erzbischof von Wien mied ab sofort die Öffentlichkeit. Heuer jährt sich die Enthüllung der Missbrauchs-Affäre rund um Ostern 1995 durch einen ehemaligen Schüler Groers im profil zum zwanzigsten Mal. Die spektakuläre Causa trat weltweit eine Welle von Missbrauchsklagen gegen kirchliche Würdenträger los. Über 1700 österreichische Missbrauchsfälle wurden von einer – 15 Jahre danach installierten – Kommission unter Führung von Ex-Landeshauptfrau Waltraud Klasnic aufgearbeitet, fast 17 Millionen € Entschädigung ausgezahlt.

Die nachhaltige Erschütterung der katholischen Kirche ging weit über die Empörung über das bis dahin Unglaubliche hinaus. Im Juni 1995 entluden sich der generelle Frust über die fehlende Transparenz hinter Kirchenmauern und der dringende Wunsch nach Reformen im "Kirchenvolks-Begehren". Mehr als eine halbe Million Katholiken stellten sich per Unterschrift hinter ein Bündel von Forderungen wie diese: Mitsprache bei Bischofsernennungen, Abschaffung des Pflichtzölibats, Zulassung von verheirateten Priestern und generell von Frauen zu kirchlichen Ämtern – und vieles mehr.

Der Papst fordert "mutige Vorschläge" ein

Zwanzig Jahre danach resümiert der bekannte Wiener Kleriker Helmut Schüller: "Bischofsernennungen sind nach wie vor ein Geheimverfahren. Bei den Reformen hat sich so gut wie nichts getan." Der charismatische Seelsorger steht auch als Person für den radikalen Wandel in der Kirche: Einst Mitarbeiter von Kardinal Groer, dann rechte Hand dessen Nachfolgers, steht er heute an der Spitze jener Priester, die als "Pfarrer-Initiative" in Rom und Wien massiv auf Reformen drängen. Hoffnung macht Schüller wie vielen anderen Papst Franziskus. Das Klima im Vatikan ist dank des Südamerikaners lockerer, substanziell ist aber auch im dritten Jahr des neuen Pontifikats noch nicht viel weitergegangen. "Jetzt werden wir langsam ungeduldig", sagt Schüller: "Wenn wir nicht bald etwas tun, werden uns die Gemeinden zerbröseln." Österreichs Kirche versucht angesichts von immer weniger Geld und Personal durch den Verkauf von Kirchen und die Schaffung von Großpfarren über die Runden zu kommen.

Der Papst hat den aus Österreich stammenden Bischof in Lateinamerika, Erwin Kräutler, jüngst aufgefordert, "mutige Vorschläge" zur Behebung dieser Misere zu machen. Geht es nach Geistlichen wie Kräutler und Schüller, kann am Ende nur die Erfüllung jener Forderungen stehen, die zuletzt im Kirchenvolks-Begehren erhoben wurden – von der Frauen-Weihe bis zur Lockerung des Zölibats. "Noch ist nicht absehbar, ob sich unter Franziskus etwas ändert", sagt Helmut Schüller: "Wenn alles so bleibt, wird die Erosion der Kirche unaufhaltbar weitergehen."

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