Der Terror des IS ist für Muslime Alltag

Flüchtlinge sind Opfer und nicht Täter. Die Attentats-Serie von Paris stellt uns vor ganz andere Fragen.
Josef Votzi

Josef Votzi

Wer Syrien oder den Irak verlässt, hat nicht Bomben und Granaten im Gepäck.

von Josef Votzi

über Flüchtlinge als Opfer

Es war das Ende des Ramadan und der Beginn des dreitägigen Fastenbrechens – für Muslime ein Fest wie Weihnachten: Es gibt reichlich zu essen, Berge von Süßigkeiten und Geschenke. Ein Eisverkäufer parkt an diesem heißen Julitag seinen Kleinlaster mitten am Marktplatz. Wegen des Feiertags gibt es alles billiger. Der Wagen ist bald von einer Menschentraube umringt – bis eine gewaltige Explosion den Eiswagen und die Festtagsstimmung zerreißt. 120 Menschen sind am 17. Juli 2015 in einer Kleinstadt nordöstlich von Bagdad auf der Stelle tot. Der IS war hier nicht auf Eroberungsfeldzug.

Der Terrorakt galt muslimischen Schiiten – in den Augen der sunnitischen Extremisten also Ungläubigen.

Im ganzen Irak waren es im Vorjahr 10.000 Menschen, die so ums Leben kamen. Der Terror ist Alltag im Mittleren Osten. 100.000 Muslime sind bisher Opfer des IS geworden, rechnete Jordaniens König Abdullah am Rande seines dieswöchigen Besuchs in Wien vor.

Mit den feigen Anschlägen von Paris am Freitag, dem 13., ist der Terror des IS auch mitten in Europa angekommen. Die Schreckensnachrichten reißen seit Wochen nicht ab. Gestern die täglich neuen Rekordzahlen von Flüchtlingen, die sich auf dem Balkan Richtung Europa auf den Weg machen. Heute die täglich neuen Horrornachrichten von islamistischen Zellen mitten unter uns. Beides hat bei Lichte betrachtet im Regelfall null miteinander zu tun. Dennoch löst die Terrorwelle in den sozialen Foren eine neue Debatte über den Flüchtlingsstrom aus. Nach dem Motto: Wir haben schon immer davor gewarnt. Jetzt haben wir die ersten mehr als hundert Toten.

Keine Tabus bei strengeren Regeln

Es gibt viele Gründe, sich mit einer für beide Seiten menschengerechten Bewältigung des Flüchtlingsstroms noch intensiver auseinandersetzen. Wenn ein besonnener und christlich-sozial verwurzelter Politiker wie Hermann Schützenhöfer im KURIER einen Hilfeschrei für mehr Solidarität von Politikerkollegen und "Null Toleranz" bei Integrations-Verweigerung formuliert, dann verdient das eine ernsthafte Auseinandersetzung.

Auch in der neu entfachten Debatte über einen Mix aus Anreizen und strengeren Regeln zur besseren Integration von Zuwanderern darf es keine Tabus geben.

In all diesen Fragen gilt mehr denn je: Offen reden, reden, reden. Die Menschen fühlen sich mit ihren Ängsten und Sorgen von der Politik noch immer allzu sehr allein gelassen. Eine Sorge ist leicht zu nehmen: Wer Syrien oder den Irak verlässt, hat nicht Bomben und Granaten im Gepäck, sondern will endlich Terror und Krieg hinter sich lassen. Oft zu Fuß und unter Lebensgefahr. Die Mörder vom Freitag, dem 13., reisten bequem mit dem Auto in Paris an.

Nach der Attentatsserie stellen sich ganz andere Fragen: Nach dem Versagen der Geheimdienste; nach Wiedereinführung der Vorratsdatenspeicherung; auch nach Hausarrest oder Fußfessel für Syrien-Heimkehrer. Diese gilt es offen und breit zu diskutieren – aber nicht auf dem Rücken von Menschen, die hier Opfer und nicht Täter sind.

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