Denken, verhandeln, dann Mikrofone suchen

Das wäre doch sinnvoll: Zuerst einen Standpunkt, dann einen Kompromiss suchen. Und dann erst reden.
Helmut Brandstätter

Helmut Brandstätter

Zuerst einen Standpunkt, dann einen Kompromiss suchen. Und dann erst reden.

von Dr. Helmut Brandstätter

über die Neigungsgruppe Zaunbau

"Journalisten sind Wegelagerer und Indiskretins". Eines der vielen Zitate, die uns der frühere deutsche Bundeskanzler und langjährige Publizist Helmut Schmidt hinterlassen hat. Ja, so war das einmal. Da haben Politiker verhandelt, im Idealfall Kompromisse gesucht und die Ergebnisse schließlich der Öffentlichkeit mitgeteilt. Umgekehrt war es Aufgabe der Journalisten, schon während dieses Prozesses Details zu recherchieren und mit dem Wissen vor ihrem Publikum zu glänzen. Dass man dafür auch Politikern auflauerte, fand Schmidt in Wirklichkeit nicht so schlimm, es hat ja seine Bedeutung bestätigt. Und Indiskretion ist für einen Berichterstatter keine Schande, auch wenn hier an ein Schimpfwort erinnert werden soll.

In der österreichischen Innenpolitik aber haben sich die Zustände zuletzt umgekehrt. Da haben zumindest die seriösen Zeitungen appelliert, dass die Regierung doch endlich durchdachten Pläne zu Zaun, Unterbringung und Integration vorlegen soll, aber die Neigungsgruppe Zaunbau wurde umso lauter und lebhafter, je größer die staunende Öffentlichkeit wurde. Bei Innenministerin Mikl-Leitner hatte man den Eindruck, dass sie bei jedem Verlassen ihres Amtsgebäudes auf der Suche nach dem nächste Mikrofon war. Auch Verteidigungsminister Klug schätzte den Weg vor die Kameras und Außenminister Kurz fiel öfters mit der Aussage auf, "die Situation sei außer Kontrolle." Ja, ganz offensichtlich, aber wer wäre denn zuständig dafür, die Kontrolle zu haben, doch die Bundesregierung, oder? Ein boshaftes Bonmot, das Karl Kraus für Journalisten gedacht hatte, wird für Politiker aktuell: "Es genügt nicht, keinen Gedanken zu haben, man muss ihn auch ausdrücken können". Denn geredet wird ständig, aber selten etwas, was nach einem durchdachten Plan oder gar nach einer klaren Vorgangsweise klingt. In einem Land, wo die Auskunft oft mit der Begründung "Amtsgeheimnis" verwehrt wird, ist das besonders auffällig.

Lobbys genießen den öffentlichen Streit

Das ist kein Appell an eine Politik im Verborgenen, ganz im Gegenteil. Wir Bürger, das zahlende Publikum, haben das Recht, klare Aussagen, Pläne und Maßnahmen vorgelegt zu bekommen, danach können wir urteilen. Aber es regiert die Angst, nicht zuletzt vor der nächsten Umfrage. Wobei Umfragen immer öfter aussagen, was auch der Hausverstand sagt: Die Bevölkerung will eine Regierung, die handelt.

Nur gut organisierte Lobbys verstehen es, die permanente öffentliche Austragung von Konflikten in der Koalition für sich zu nutzen. Das sehen wir gerade auch in der Bildungsdebatte. Kaum taucht das Wort Schulautonomie auf, erklären Lehrerverbände, dass Direktoren sicher nicht Lehrer kündigen dürfen. Geht es um den Einfluss der Länder, stehen diese parat. Und um etwas zu verhindern, platzieren Politiker oder Lobbys einen kleinen Hinweis an eine Zeitung. In der Welt des Helmut Schmidt waren die Journalisten die "Indiskretins."

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