Erdogan – die Wahl ohne eine Wahl

Der türkische Premier am Zenit seiner Karriere – als Präsident wird er nur noch autoritärer agieren.
Ingrid Steiner-Gashi

Ingrid Steiner-Gashi

Erdogan mag sich nicht verändert haben – die Türkei aber hat es sehr wohl.

von Mag. Ingrid Steiner-Gashi

über die Wahl in der Türkei

Recep Tayyip Erdogan – wer sonst? Die ersten direkten Präsidentenwahlen in der Türkei brachten wie erwartet einen klaren Sieg für den noch amtierenden Regierungschef – aber nicht unbedingt einen für die Demokratie im Land. Den zuletzt immer selbstherrlicher agierenden Regierungschef konnte nichts ernsthaft in Bedrängnis bringen. Die Massenproteste des Vorjahres ließ er gewaltsam unterdrücken. Die Korruptionsvorwürfe in seinem engsten Umfeld, selbst innerhalb seiner eigenen Familie, saß er aus. Kritiker werden verunglimpft, eingesperrt oder strafversetzt. Nicht einmal das schwerste Minenunglück der Türkei, wo heuer wegen laxer Sicherheitsvorschriften 300 Menschen sterben mussten, hat Erdogan wirklich geschadet.

Mysterium ist das keines: Denn für die wahlentscheidende Mehrheit der Türken zählt nicht, dass ihr Regierungschef die Justiz des Landes ungeniert vor seinen Karren spannt oder dass er mit religiösen Vorschriften immer rigider in ihr Privatleben eingreift. Für sie ist der seit elf Jahren regierende Premier jener Mann, der die Wirtschaft der Türkei entfesselt hat. Der Millionen Menschen aus der Armut holte. Der den vielen konservativen Muslimen des Landes zu neuem Selbstvertrauen verhalf.

Ausgestattet mit diesem betonharten Dankbarkeitssockel, wird sich Erdogan deshalb einmal mehr in seinem autoritärem Politikstil bestätigt sehen – und auch als Präsident von seinem absoluten Machtanspruch nicht abrücken. Die Proteste im Gezi-Park aber haben gezeigt: Erdogan mag sich nicht verändert haben – die Türkei aber hat es sehr wohl. Der Staat, das ist nicht nur Erdogan, sondern das sind auch all jene, die sich eine liberalere, freiere und demokratischere Türkei wünschen.

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