Alle Hoffnung ruht auf der Türkei

Die Europäische Union ist in Sachen Flüchtlinge noch nicht viel weitergekommen.
Andreas Schwarz

Andreas Schwarz

Wenn heute die deutsche Kanzlerin nebst anderen Regierungschefs und dem EU-Kommissionspräsidenten vor der österreichischen Botschaft in Brüssel vorfährt, dann sind nicht nur die Sicherheitsvorkehrungen enorm, sondern dann steht das kleine EU-Land für ein paar Stunden im Rampenlicht: Kanzler Faymann hat die "Koalition der Willigen" in Flüchtlingsfragen zum Vorgipfel vor dem EU-Gipfel geladen. Und das passt zum Bild: Deutschland, Schweden, Frankreich und auch Österreich geben den Takt vor, in dem Europa auf die größte Herausforderung dieser Zeit reagiert. Oder reagieren soll.

Denn das bisher Vereinbarte ist schwierig genug umzusetzen: Die Hotspots an den EU-Außengrenzen zur Registrierung von Flüchtlingen sind weit entfernt von der Realisierung; die Kontrolle der EU-Außengrenzen durch Frontex braucht noch viel Aufbauzeit; die Aufteilung von Flüchtlingen in Europa funktioniert vor allem wegen der beschämenden Nicht-Solidarität der Osteuropäer nicht. Heißt: Keine der drei Maßnahmen wird greifen, wenn der Flüchtlingsstrom, der Jahreszeiten-bedingt gerade etwas nachlässt, wieder anschwillt.

Ankara schraubt den Preis hoch

Einzig der Deal mit der Türkei, Milliarden dafür zu zahlen, dass das Land keine Flüchtlinge mehr nach Europa durchreisen lässt, ist grundsätzlich in trockenen Tüchern. Nur beim Auswickeln ist noch viel Spielraum. Und den hat Ankara mit der Erwartung besetzt, von Europa noch einiges herausholen zu können – schließlich hat es die Türkei mit in der Hand (und sagt es auch unverhohlen), wie viele Flüchtlinge nach Europa kommen.

Seit Tagen wird daher in Brüssel überlegt, wie man die Türkei noch weiter ins Boot holen kann. Die Zauberformel der EU-Kommission: Europa nimmt anerkannte Flüchtlinge aus der Türkei für mindestens ein Jahr auf, wenn die Türkei effektiv dafür sorgt, dass es so gut wie keine illegalen Grenzübertritte nach Europa mehr gibt. Kanzler Faymann spricht im Welt-Interview von 50.000, die Europa der Türkei "abnehmen" könnte, wenn die Grenzen dichthielten.

Faktum ist: Auch die "Koalition der Willigen" ist längst nicht mehr eine, die Flüchtlinge hereinbittet. Der "humanitäre Imperativ" der geöffneten Grenzen (© Angela Merkel) ist der realistischen Sicht der Dinge gewichen, dass Europa nicht das Ziel von Zuwanderung ohne Ende (und meist nicht einmal nur aus Syrien) sein kann. Gerade Deutschland hat seine Asylpolitik in den letzten Monaten massiv verschärft, auch wenn Abschottung im 21. Jahrhundert "keine Option ist" (ebenfalls Merkel).

Dass die Türkei im Moment die einzige Option ist, auf die Europa wirklich setzen kann, ist freilich a) bedenklich wegen der sonstigen demokratiepolitischen und menschenrechtlichen Lage dort (laut jüngstem Amnesty-Bericht steckt die Türkei Hunderte abgefangene Flüchtlinge in Haftzentren im Südosten des Landes). Und es ist b) nach Monaten der Befassung mit dem Thema samt vielen Gipfeln bis zum morgigen kleinen und großen ein bisschen dürftig.

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