Zwischen Traum und Wirklichkeit

Wenn die Realität sich weigert, sich an unsere Träume anzupassen, dann ist das noch nicht so schlimm. Zur Überwindung der Diskrepanz zwischen Traum und Wirklichkeit – seien Sie achtsam, zwischen U-Bahn-Tür und Bahnsteigkante ist ein Spalt! – wurde der Selbstbetrug erfunden.

Die korrekte Handhabung des Selbstbetrugs hat der Mensch schnell erlernt, er hat sogar über die Jahrtausende eine ganz erstaunliche Geschicklichkeit beim Selbstbetrug entwickelt. So hält er sich allen Ernstes für die „Krone der Schöpfung“, was bereits die hohe Schule der Virtuosität beim Selbstbetrug voraussetzt. Im Laufe der Weltgeschichte hat der Mensch außer Krieg, dem Pizza-Burger und dem Selfie-Stick wenig Auffälliges hervorgebracht, dennoch sieht sich der Mensch im Spiegel als eine Mischung aus Beethoven, Einstein und Mutter Teresa.

Als ich ein Kind war, sah ich im Spiegel den nächsten Hans Krankl, inklusive Schnurrbart. Ich hielt mich für einen brillanten Fußballer, einen kommenden Teamspieler. Den Spalt zwischen Traum und Realität übersah ich mit Hilfe der erwähnten Kulturtechnik des Selbstbetrugs. Bis die Mutter eines Mitspielers auf die Idee kam, eines unserer Matches mit einer Super-8-Kamera mitzufilmen. Als der Film schließlich vorgeführt wurde, sah ich einen linkischen Buben mit Brille und komischer Frisur, der nicht schlecht, auch nicht gut, sondern gar nicht spielte. Ich stand verloren im Gemüse herum, während um mich herum ein Geschehen tobte, das sich nicht für mich interessierte. Das war ein brutaler Augenblick – der Traum von der Fußballerkarriere verschwand zwischen U-Bahn-Tür und Bahnsteigkante.

Ein paar Jahre lang stand ich unschlüssig vor meinem Leben, dann fand ich einen neuen Traum: Ich beschloss, von Beruf Rockstar zu werden. Davon in einer Woche mehr.

Guido Tartarottis neues Kabarettprogramm "Selbstbetrug für Fortgeschrittene" hat am 2. September im Niedermair in Wien Premiere. Zweite Vorstellung am 22. September im Theater am Alsergrund.