Warum es mehr Kehrseiten als Medaillen gibt

Wolfgang Winheim

Wolfgang Winheim

Eine Wortwahl, die gegenüber Rio-Verlierern mehr respektlos als angebracht ist.

von Wolfgang Winheim

über den Begriff "Olympia-Touristen"

Zuerst zu große Euphorie. Danach die große Enttäuschung. Wie bei der Fußball-EM kippte die – mediale – Stimmung auch bei Olympia von einem Extrem ins andere. Nur mit dem Unterschied, dass sich die öffentliche Anteilnahme anders als bei Alaba und Kollegen in Grenzen hält.

Hatte die Euro 2016 dem ORF gleich bei elf Spielen Einschaltziffern jenseits der Million beschert, so glich Rio 2016, obwohl man dort 23 Fachkommentatoren zu prächtigen Bildern reden ließ, einem Quoten-Flop. Was auch an den ungünstigen Übertragungszeiten (Usain Bolts Shows begannen erst um 3 Uhr MESZ Früh) und am Fehlen namhafter österreichischer Hoffnungsträger lag.

Als Thomas Zajac und Tanja Frank zur Prime Time auf Medaillenkurs segelten, sahen immerhin 351.00 (ORF-Rio-Rekord) zu. Zajac /Frank haben eine medaillenlose ÖOC-Bilanz à la London 2012 verhindert – wenn auch in einer Bootsklasse, die es vor vier Jahren bei Olympia noch nicht gab.

Thomas Zajac und Tanja Frank (die wegen außergewöhnlicher Begabung sogar eine Schulklasse hatte überspringen dürfen) haben so nebenbei auch den "Oberpsychologen" Markus Rogan widerlegt, der nach Hermann-Maier-Siegen behauptet hatte, zu viel Hirn könne im Hochleistungssport ein Handicap sein.

So sehr es verblüfft, dass gerade Segler die Olympia-Bilanzen eines Binnenlandes immer wieder schönen, so sehr ist gnadenlose Ursachenforschung angebracht, weshalb Österreich in den Elementarsportarten kaum präsent ist. In der Leichtathletik, im Schwimmen, im Turnen.

Wenn doch wer – wie Diskuswerfer Lukas Weißhaidinger oder das (im Ausland trainierende) Schwimmtalent Felix Auböck – nicht baden geht, sind die Erfolge kein Produkt des Systems, sondern der Lohn für Einzelkämpfer, für deren Eltern und Trainer, für Idealismus in kleinen Zellen.

Nach wie vor wird selbst der Sport von Politik bestimmt. Nach wie vor fehlt es der "Sportstadt" Wien an international üblichen Trainingsmöglichkeiten. Nach wie vor dominiert bei Förderungen zu sehr das Gießkannensystem. Allerdings:

Gleiches prangerte der KURIER schon vor 40 Jahren an, als es ebenfalls nur zu einer Bronzenen (Pistolenschütze Rudolf Dollinger) reichte. Und als nach Montreal ’76 ebenfalls über Olympia-Touristen gelästert wurde. Eine Wortwahl, die gegenüber Rio-Verlierern mehr respektlos als angebracht ist.

Trotz aller Hoppalas: Platz 75 im Medaillenspiegel wird für den Staat nicht folgenschwer sein. Die Tatsache, dass einem Drittel der Jugendlichen bereits ähnlich viel Fett wie manch boshaftem Olympia-Kritiker um die Lenden wuchert, ist ungleich dramatischer.

Das dicke Ende kommt erst.

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