Wenn Mitleid Startverbot hat

Wolfgang Winheim

Wolfgang Winheim

Er will auch nicht Mitleid erregen. Er will sich vielmehr widerspruchslos dem Urteil fügen.

von Wolfgang Winheim

über Markus Rehm

Was haben Leichtathleten und Schwimmer gemeinsam? Sie stört seit Generationen, dass sie, die Vertreter von Elementarsportarten, in der öffentlichen Wahrnehmung zu kurz kommen. Im Widerspruch zu dieser berechtigen Beschwerde steht ihr Terminplan: Schwimmer und Leichtathleten tragen zur selben Zeit – noch dazu nur 20 Autominuten voneinander entfernt – ihre Staatsmeisterschaften aus. So, als wolle man sich gegenseitig Zuschauer und mediale Präsenz wegnehmen am kommenden Wochenende.

Ski-Präsident Peter Schröcksnadel müsste als Marketing-Profi den Kopf schütteln, wenn er von den Parallelmeisterschaften in St. Pölten und Amstetten erfährt. Er war nach der Olympia-Pleite von 2012 überredet worden, auch bei den Sommersportlern als Ober-Zampano sein Know-how einzubringen, damit Österreich 2016 in Rio nicht erneut medaillenlos bleibt. Daher wird ihm mitgeteilt werden, dass ohnehin alles bestens sei. Dass Schwimmer und Leichtathleten mit rekordverdächtig großen Teams zu den Europameisterschaften fahren. Und dass im Übrigen auch die internationalen Verbände ihre Top-Ereignisse zeitgleich angesetzt haben.

Leichtathletik-EM und Schwimm-EM finden ab 12. August in Zürich bzw. Berlin statt. Würde es an den beiden Schauplätzen zu einer einzigen Medaille für Rot-Weiß-Rot reichen, wäre das schon eine Sensation.

Während in Österreich die Entsendungskriterien keinen Menschen aufregen, bewegt in Deutschland die EM-Qualifikation eines einzigen Athleten die ganze Sportnation.

Paralympics-Champion Markus Rehm, dem nach einem Wakeboard-Unfall ein Unterschenkel hatte amputiert werden müssen, wurde soeben deutscher Weitsprung-Meister mit einem Behinderten-Weltrekord in der Allgemeinen Klasse.

Erst nach dreitägiger Beratung will der deutsche Verband heute über Rehms EM-Teilnahme entscheiden. Zumal Rehm sich mit dem Vorwurf des Techno-Dopings konfrontiert sieht und Experten darüber streiten, ob Rehm sein 8,24-Meter-Sprung (österreichische Jahresbestleistung: 7,76) trotz oder wegen seiner Prothese gelang.

Biomechaniker wollen inzwischen herausgefunden haben, dass Rehm mit geringerem Tempo anlaufe, aber dennoch gleich weit springe wie schnellere Konkurrenten.

Wie auch immer: Rehm ist selbst an einer präzisen Analyse interessiert. Er will nicht via internationalem Sportgericht (wie der inzwischen unter Mordverdacht stehende Südafrikaner Oscar Pistorius) einen Start erzwingen. Er will auch nicht Mitleid erregen. Er will sich vielmehr widerspruchslos dem Urteil fügen. Auch wenn es zu seinen Ungunsten ausfällt.

Für diese Haltung hat ihn ein deutsches Boulevardblatt symbolisch zum deutschen Sportler des Jahres erklärt. Trotz weltmeisterlicher Fußballkonkurrenz namens Neuer, Müller oder Lahm.

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