Sportbegeisterung zu Staatsvertrags-Zeiten

Wolfgang Winheim

Wolfgang Winheim

Am 15. Mai 1955 waren bemerkenswert viele Leut’ so frei, um sich dem Sport zu widmen.

von Wolfgang Winheim

über ein historisches Datum

Heute sind’s genau 60 Jahre her seit der Unterzeichnung des Staatsvertrages. Dass der einem politische Wunder gleichgekommen war, zumal Ost-Österreich aus sowjetischer Sicht als Beuteland à la DDR schon aus geografischen Gründen wie gegeben schien, hatten wir Döblinger Nachkriegskinder in der US-Besatzungszone nicht begriffen. Und so zog ich mir den Zorn meiner Mama zu, weil ich just während die Familie vor dem Radioapparat auf die Übertragung vom Belvedere wartete, alle mit der Frage belästigte, wieso denn die Vienna gegen den Sportklub verloren habe. Im Hernalser Gatsch war die Vienna ausgerutscht. 1:4.

Sportbegeisterung zu Staatsvertrags-Zeiten

Ein Blick ins KURIER-Archiv verrät, dass am 15. 5. 55, alsLeopold Figl"Österreich ist frei" im Belvedere rief, bemerkenswert viele Leut’ so frei waren, um sich dem Sport zu widmen.

8000 harrten trotz Regen auf ungedeckten Tribünen des Wacker-Platzes in Meidling 180 Minuten bei einer Doppelveranstaltung bei Wacker – Stadlau (3:1) bzw. AustriaFC Wien (4:2) aus.

4000 erlebten in Floridsdorf ein 4:2 der damals nördlich der Donau beheimateten Admira gegen Simmering.

6000 verfolgten das 70. Traberderby in der Krieau.

Gar 20.0000 Menschen – mehr als beim Belvedere – wurden bei einem Auto- und Motorradrennen auf einem Badener Rundkurs gezählt. Bis zu 168 km/h Schnitt pro Runde wurden erreicht. In Anbetracht von so viel Benzin und Lärm in einer Kurstadt würden heutzutage Eva Glawischnigs Umweltschützer Gas geben – und das Bleifußspektakel verhindern.

Doch die einzig aktiven Grünen zu dieser Zeit waren die Rapidler. Für sie reichte es am Tag des Staatsvertrages vor 10.000 Augenzeugen in Graz gegen den GAK nur zu einem 4:4, weil laut KURIER Wundertormann Walter Zeman peinlich patzte.

Anfang der 50er-Jahre hatte Rapid sogar als die (inoffiziell) beste Mannschaft am Kontinent gegolten, während Bayern München eine international bedeutungslos biedere Truppe war.

Die Gründung des Europacups sollte für Zeman, Ernst Happel, Gerhard Hanappi und die Körner-Brüder zu spät kommen, obwohl Rapid 1956 ein Entscheidungsspiel gegen Real Madrid erzwang, worauf Rapid für viel Geld eine Verlegung von neutralem auf Madrider Boden zuließ. Die Chance auf einen Aufstieg wurde verkauft.

Und die Vienna? Die war fünf Wochen nach dem Staatsvertrag doch noch österreichischer Meister (in einer 14er-Liga) geworden.

Heute ist die Vienna Dritter in der dritten Liga. Und der Wasserkopf Wien längst trocken gelegt. Statt wie zu Staatsvertrags-Zeiten neun Klubs gehören nur noch zwei aus der Hauptstadt dem Fußball-Oberhaus an.

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