Riskante Kritik

Wolfgang Winheim

Wolfgang Winheim

Die halbe alpine Weltelite geht am Stock.

von Wolfgang Winheim

über alpine Sturzopfer

Torlaufspezialist Marcel Hirscher ist immer noch der einzige Österreicher, der im 50. Weltcup-Winter ein Speedrennen gewonnen hat. Und die ÖSV-Piloten, die im Gegensatz zu Hirscher seit August fast täglich die 2,17 Meter langen Abfahrtslatten anschnallten, rasen immer noch weit ihren Möglichkeiten hinterher. Mehr noch:

Die gestrige Abfahrtsniederlage auf der norwegischen Olympiastrecke von 1994 war – in Abwesenheit Hirschers – die ärgste für den ÖSV seit sieben Jahren. Klaus Kröll wurde als 15. bester Österreicher.

ÖSV-Präsident Peter Schröcksnadel könnte nun argumentieren, dass es typisch österreichisch sei, nach einem Damen-Doppelerfolg das Bergab der Herren Abfahrer zu thematisieren. Nur: Vor zwei Wochen hatte der Boss selbst mit Kritik an der Speed-Partie die Diskussionen angeheizt und Konsequenzen angekündigt.

Spätestens im Mai, wenn sich das öffentliche Sportinteresse endgültig Richtung Fußball und EM verlagert hat, wird es auch beim Skiverband zu den im Fußball üblichen Personalrochaden kommen. Wobei Betreuerwechsel im Schnee nicht annähernd so teuer sind, weil die Jahresgagen von Skitrainern bestenfalls den in der internationalen Kickerei gängigen Monatsgagen entsprechen.

Was die Speed-Krise betrifft, so schlagen neben dem Präsidenten auch sein Vize und Ex-Weltmeister Michael Walchhofer sowie Olympiasieger und einstige Medaillenschmiede à la Karl Kahr (stellvertretend für zurückhaltende Sportjournalisten) vom Fußball bekannte Töne an:

Mehr Einsatz, mehr kämpfen, mehr attackieren! Was auf den Skisport übertragen in Wahrheit nichts anderes heißt als ein Einfordern von mehr Risikobereitschaft bei den Rennläufern. Obwohl das Wort "riskieren" vorsorglich bis pharisäerisch vermieden wird. Zumal vor und während der Weltcup-Jubiläumssaison zu viele in Akjas und Rettungshubschraubern gelandet sind.

Als vorerst letztes Opfer blieb erst am Freitag in Norwegen beim Abschlusstraining der Franzose Guillermo Fayed mit gerissenem Kreuzband auf der (Abfahrts-)Strecke.

Lindsey Vonn, Anna Fenninger, Aksel Lund Svindal, Ted Ligety, Matthias Mayer, Georg Streitberger – die halbe alpine Weltelite geht nebst einer bedenklich lang gewordenen Reihe begabter No Names am Stock. Die Ursachenforschung dafür ist wichtiger als eine überzogene österreichische Manöverkritik.

Super-G-Weltmeister Hannes Reichelt wirkt jedenfalls nicht nur wegen einer Verkühlung verschnupft, als er vor der Abfahrtspleite in Norwegen ins ORF-Mikrofon sagte: "G’scheiter wär’s, wenn die alten Herren, die auf uns draufhauen, vernünftige Kritik äußern." Mutig, mutig. Oder braucht sich Reichelts Präsident, 74, nicht angesprochen zu fühlen?

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