Revanche im Jurassic-Park

In Wengen wird bewusst, wo die echten Tragödien im Leben passieren.
Wolfgang Winheim

Wolfgang Winheim

Immer noch ist in Wengen privater Autoverkehr verboten

von Wolfgang Winheim

über den Charme eines Ski-Weltcup-Ortes

Marcel Hirscher hat Schuhgröße 42 1/2. Vor dem Slalom aber zwängt er sich in 40-er Skistiefel. Damit er Befehle und Kraft seiner Beine besonders gut auf die Ski übertragen kann. Oh’ Schmerz lass nach. In Wengen lohnten sich die Qualen nicht. Hirscher fädelte schon nach 35 Fahrsekunden ein. Und wenn Hirscher ausscheidet, wird deutlich, wo die Ski-Nation der Schuh drückt.

Auf Kurzskiern sind Deutsche, Italiener, Franzosen, Schweden und ein Russe den Teamkollegen Hirschers eine Nummer zu groß – auch wenn Olympiasieger-Bruder Michael Matt (Rang 16 mit Nummer 63) in Wengen eine Talentprobe ablegte und sich Reinfried Herbst wieder den Top Ten nähert.

Rosiger ist die Lage für Rot-Weiß-Rot im Speedbereich. Da wird das Imperium vielleicht schon heute, Sonntag, zurückschlagen und Matthias Mayer seine erste Siegesprämie in diesem Winter einfahren.

Kitzbühel zahlt doppelt so viel

Mit 33.000 Franken (=Euro) brutto ist das Preisgeld aufgrund des Euro-Kursverfalls für EU-Bürger ein bissel mehr wert als in den vergangenen Jahren, aber doch ungleich niedriger als in Kitzbühel. Dort werden die Sieger mit jeweils 70.000 Euro belohnt.

Auch andere Weltcup-Veranstalter sind großzügiger als die Schweizer, was letztere damit rechtfertigen, dass die Präparieren und Absichern der längsten Rennstrecke der Welt eben mehr Fränkli erfordere als anderswo. Und letztere holen sich die sparsamen Berner Oberländer auch mit hohen Hotelpreisen n (260 pro Nacht) und Eintrittspreisen (65 bei der Abfahrt) zurück.

Kaum angekommen ist der geschröpfte Gast fasziniert vom lokalen Charme. Immer noch ist in Wengen privater Autoverkehr verboten. Immer noch ist ein 20-minütiger Fußmarsch ins Ziel erforderlich. Immer noch steht ein Heustadl mitten auf der Slalompiste. Und immer noch haben die Abfahrer Hundsschopf und Brückli zu meistern und durch einen Tunnel zu rasen – durchwegs Passagen, die nicht über die von der FIS vorgeschriebene Mindestbreite verfügen. Trotzdem taugt nicht nur Ski-Dinos das Beharren auf der Tradition im alpinen Jurassic Park. Konträr zum gestrigen Slalom haben Österreicher am Lauberhorn, das seine 85.Auflage erlebt, Hauptrollen gespielt. Die meisten Siege (67), die meisten Stürze, die ärgste Tragödie.

Es war im Jänner 1991 am Tag nach dem Ausbruch des Golfkrieges, der die US-Rennläufer zur sofortigen Abreise aus Wengen veranlasste, als Peter Wirnsberger im Hotel Alpenrose, zu seinem jungen Teamkollegen Gernot Reinstadler, auf das prächtige Gebirgspanorama deutend, sagte: "Wie gut’s uns doch geht. In der Wüste rollen die Panzer und wir dürfen in einer so ruhigen, schönen Landschaft unseren Beruf ausüben." 24 Stunden später verblutete Reinstadler am Zielhang des Lauberhorns. Er war am Netz hängen gelieben. Daraufhin wurden Bäume geschlägert. Heute ist die verbreiterte Zielkurve mit dem von damals nicht vergleichbar.

Überall wurden die Sicherheitsvorkehrungen verbessert. Doch eine Restrisiko wird es im Abfahrtssport immer geben. So wie in ungleich ernsteren Bereichen des Lebens abseits des Sports auch.

1991 war wegen des Golfkriegs – auch von einigen Skistars – die Absage der Ski-WM gefordert worden. Sie fand drei Wochen später dann doch (ohne Zwischenfall) in Saalbach statt. Heute denkt niemand auch nur ansatzweise an eine Absage der bevorstehenden WM in Beaver Creek. Die mediale Konfrontation mit Krieg und Terror gehört zum Alltag.

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