Ich will!

sex IN DER FREIZEIT: 19 Mal pro Tag
Sex in der Freizeit: Ein Online-Projekt thematisiert das Begehren der Frauen – in Videos erzählen sie, was sie wollen. Jetzt. Hier. Heute. Das ist gut und wichtig – weil es ein Bewusstsein weckt.
Gabriele Kuhn

Gabriele Kuhn

Desire – welch ein anschmiegsames Wort, das kommt gut. Nicht nur auf der Zunge. Der englische Begriff gleitet einfach geschmeidiger über die Lippen als das, was unsere Sprache zu bieten hat – für Lust, Sehnsucht, Begierde, Verlangen und Wollen. Desire lässt sich herrlich ausatmen. Ein Begriff, ein Programm.Im Internet gibt es seit Kurzem ein ambitioniertes Projekt – das „Desire Project“ (www.desireproject.com). Hier dreht sich alles um das weibliche Verlangen. Und zwar um das Verlangen hier und jetzt – es geht um die zentrale Frage: What do YOU want right NOW? (Was willst DU genau JETZT?). Die Frage ist wichtig, finde ich – nicht nur das Leben im Allgemeinen betreffend, sondern das Lieben. Wissen Menschen (Frauen und Männer!) überhaupt so genau, was sie wollen? Oder glauben sie es nur zu ahnen – bzw.: Mutiert das Wollen nicht zunehmend zum Imitat, als Ergebnis einer Bedürfnispyramide, die uns aufs Aug’ gedrückt wurde? Daher: Desire Project, bravo! Weil es zum Nachdenken anregt. Weil es etwas klar macht. Die Gedanken und „Geständnisse“ der Frauen wird in offenen und mitunter berührenden Online-Videos gezeigt – man spricht über Sehnsüchte, Verlangen und Lust. Und so manches davon hat dann doch wieder rein gar nix mit Sex zu tun.Ich finde die Idee zu diesem Projekt insofern spannend, als alles, was das „begehrliche Bewusstsein“ – in jeder Hinsicht – klärt und schult, nur nützen kann. Was Frauen wollen, bleibt ja oft nicht nur Männern ein Mirakel – sondern den Frauen selbst auch (und umgekehrt lässt sich ebenfalls nur ahnen: Was will der Mann?). Warum das so ist? Ich denke es geht vorrangig darum, dass (vor allem) Frauen endlich kapieren, dass sie wollen dürfen. Dass sie hingehen können und sagen: Stopp. So nicht. Aber so bitte schon. Gehört haben wir das alles schon viele, viele Male – aber dann. Dann sitzt eine wie F vor mir und moniert: „Ich habe seit 15 Jahren Geschlechtsverkehr mit einem Mann, der nicht und nicht kapiert, was mir eigentlich gut tut.“ Hallo, wie soll er auch? Die F sagt ja nie was. Auch nicht zum Chef, der das Prädikat „Arschloch“ verdienen würde. Die F legt sich hin, schließt die Augen, denkt sich was und wundert sich, dass Dinge passieren – oder eben nicht.

Mich erstaunt daher wenig, dass sich derzeit so viele Frauen auf das litera­rische Junk-Food namens „Fifty Shades of Grey“ stürzen und mit nassem Hoserl atemlos am Strand liegen – lesend, stumm und still die möglichen Untiefen des eigenen Begehrens auslotend. Ja, stimmt: Die weibliche Lust ist komplexer, verschlungener. Viele Frauen gehen in ein Zuckerlgeschäft, weil sie eine Trüffelkugel wollen – aber dann wird es kompliziert. Sie beginnen zu zögern, kommen ab vom Ursprungswunsch. Sie wollen alles und gestehen sich nichts zu. Das Ergebnis, immer noch: Entweder verlassen sie das Geschäft mit leeren Händen oder einem Dauerlutscher, den sie gar nicht wollten. Sie sagen noch immer viel zu oft: Soll ich, soll ich nicht? Sie denken unermüdlich an das Wenn und Aber. Sie treten zurück. Und sie sind nach wie vor gefällig, adrett, harmoniegeil. Höchste Zeit, das zu ändern. Nicht nur beim Sex.

gabriele.kuhn(at)kurier.at

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