Diskontware Seitensprung

sex IN DER FREIZEIT: 19 Mal pro Tag
Sex in der Freizeit: Fremdgehen – das war was! Großes Abenteuer, kompliziert und komplex. Heute biedern sich Affären förmlich an – Seitensprung-Plattformen und Untreue-Agenturen gibt es wie Sand am Meer.
Gabriele Kuhn

Gabriele Kuhn

Das wahre Leben findet ja zunehmend in der digitalen Parallelwelt statt. Für jedes menschliche Bedürfnis existiert eine Smartphone-App, Online-Plattform oder Facebook-Gruppe. Der Fortschritt und unser durch Twitter-Dauerblabla angeblich maximal erweiterter Horizont gaukeln uns vor, dass alles, weil super vernetzt, wunderfein ist. Stimmt, aber nur ein bissl. Denn alles hat zwei Seiten.

Ich denke da zum Beispiel an Affären. Die hatten Menschen immer schon – das Fremdeln hockt uns in der DNA. Früher war ein Seitensprung noch ein Echtzeit-Abenteuer – es hatte was von Survival-Training an sich. Da musste taktiert, arrangiert und gekämpft werden. Einfach war da nichts. Bitte, ich denke da nur an dieses elende Vierteltelefon – du hocktest am Wochenende herum, auf Nadeln. Warten, toben, innerlich schreien: Wann ruft der Typ endlich an? Wann kann ich ihn wiedersehen? Wenn die Mutter seiner Kinder endlich in den Supermarkt geht? Und umgekehrt: Nix schlimmer als eine Geliebte, die nachts daheim anruft und auflegt, wenn die Gattin des Hallodris abhebt. In Schweiß getränkte Zeitlupen-Albträume statt kleiner, schneller, geiler Botschaften per SMS oder What’s App. Manchen war das folglich damals zu blöd und zu mühsam, sie haben es ganz schnell wieder gelassen und sich aufs Onanieren beschränkt.

Heute – Achtung, ich formuliere bewusst schlicht – kann jeder Trottel fremdvögeln. Affären sind keine Kunstform mehr, sondern Diskont­ware. Computer an – und los geht’s: Virtuelle Seitensprung-Plattformen schmiegen sich wie Gleitcreme ans geneigte Genital, biedern sich an, zwinkern und hauchen: "Probier mich doch, Darling." Die Geliebte bekommt die Nummer des Zweithandys und wird per Hotmail oder GMX-Account auf schleimhaut­freundlicher Betriebstemperatur gehalten. Tinte auf Papier war einmal, heute kommt der Delete-Knopf zum Zug, wenn’s heikel und eng wird.

Da braucht einer also gar kein exzessiver Triebler zu sein – das funktioniert nach dem schlichten Prinzip "Erdnüsschen in der Hotelbar": Du isst sie, weil sie da sind. Weil irgendeiner sie hinstellt und den Drink dazu serviert. Mehr davon, auch wenn sie bald fad schmecken. Das Fremdgehen findet also längst nicht mehr an den Abgründen der menschlichen Existenz statt, sondern mitten in der Komfortzone des "Alles-ist-möglich". Und wenn gar nix mehr geht, zahle ich halt eine Lügen-Flatrate bei einer Alibi-Agentur, die auf Wunsch fingierte Einladungen oder E-Mails für mich verschickt.

Vor Kurzem las ich im Magazin "Spiegel" ein Interview mit Noel Biderman. Der betreibt die Untreue-Plattform Ashley Madison. Alle neun Sekunden meldet sich dort ein Mensch neu an – die Seite hat 14 Millionen Mitglieder. Biderman sagt: "Die meisten Neuanmeldungen gibt es montags und nach Feiertagen. Wenn die Erwartungen an die Freizeit mit dem Partner an der Realität zerschellen." Ja, und genau da hakt’s. Statt hinzufühlen, was uns wirklich treibt, was den anderen treibt, was fehlt, was es braucht, macht sich’s der Mensch einfach und arrangiert sich per Online-Katalog inszenierte Untreue. Blöd nur, dass alles, was so einfach funktioniert, ganz schnell wieder ganz fad wird.

gabriele.kuhn(at)kurier.at

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