Salcher: "Es gibt auch vorbildliche Schulen"

Wider den Reformstau: Salcher deckt in seinem neuen Buch Missstände auf und zeigt, wie es besser geht.
Der langjährige Schüleranwalt ist wütend, weil Schul­reformen ausbleiben. Also hat er wieder ein Buch geschrieben.
Ute Brühl

Ute Brühl

Pünktlich zum Schul­beginn meldet sich Andreas Salcher zu Wort. Mit einem neuen Buch über die Bildung: "Nie mehr Schule – Immer wieder Freude." Warum er gerade jetzt damit an die Öffentlichkeit geht und warum er wütend ist, verrät er im KURIER.

KURIER: Die Schule beschäftigt Sie immer noch. Sie kämpfen weiter für ein besseres Bildungssystem. Reizt es Sie eigentlich nicht, Unterrichtsminister zu werden?Andreas Salcher: (lacht) Ich mache das sofort. Allerdings würde ich mich nicht als Feigenblatt hergeben. Wenn man mir das anbieten würde, mache ich das nur unter der Voraussetzung, dass Regierung und Parlament bereit sind, endlich die über­fälligen Reformen umzusetzen. Aber keine Angst: Diesen Posten wird mir niemand anbieten.

Warum haben Sie ausgerechnet jetzt dieses Buch geschrieben?Mein erstes Buch "Der talentierte Schüler und seine Feinde" ist mittlerweile ein Klassiker geworden. Als es vor gut vier Jahren erschienen ist, wurde viel öffentlich über die Schule diskutiert. Auch weil ein Jahr nach dem Buch Nationalratswahlen waren. Änderungen wurden versprochen, passiert ist aber überhaupt nichts. Jetzt sind wir wieder ein Jahr vor den Wahlen – die beste Zeit, um Druck auf die Politik zu erzeugen. Da kann ich derzeit sicher mehr bewegen als ein "Feigenblatt-Minister".

Welche Reform hätte das Bildungsministerium denn als Erstes angehen sollen?Es wurde damals – ein Jahr vor der Nationalratswahl – versprochen, dass das Lehrerdienstrecht reformiert wird. Doch statt Taten bekamen wir Ausreden: "Jetzt sind Personalvertretungswahlen, da ist es nicht opportun, die Lehrer zu verärgern", wurde gesagt. Dann kam der Sommer, das Frühjahr, dann die Wahlen. Immer hörte ich Ausreden, Ausreden, Ausreden. Auch bei den Gymnasien, wo wir den größten Reformbedarf haben, ist alles beim Alten geblieben. Das ist doch ein Skandal.

Wer ist denn verantwortlich für den Stillstand in der Bildungspolitik?Wir alle: Eltern, Schüler, Lehrer, Politiker, Bürger. Wir sind den Kindern gegenüber zu gleichgültig. Ganz anders ist das, wenn die Bausparprämie halbiert wird oder der Spritpreis in die Höhe schnellt. Da ist die Aufregung groß. Aber wenn unsere Kinder eine miese Schulbildung bekommen, regt sich niemand auf. Provokant formuliert: Wie gut wäre es um unsere Kinder bestellt, wenn wir uns um sie so gut kümmern würden wie um unsere Autos?

Aber es gibt doch sicher Gruppen, die eine besondere Verantwortung tragen.Sicher – die Lehrergewerkschaft, die die Privilegien verteidigt. Die sitzt fest im Sattel. Fast zehn Prozent aller Nationalräte sind Lehrer, also überproportional viele. Die verteidigen das System, weil eine Minderheit davon profitiert.

Salcher: "Es gibt auch vorbildliche Schulen"

Die Lehrergewerkschafter allein können es ja nicht sein. Es sind ja alle Politiker in die Pflicht zu nehmen. Warum tut sich da so wenig? Die Spitzenpolitiker sind einfach feige. Sie wollen die Reformen nicht angehen. Dabei schaffen sie das ja in anderen Bereichen durchaus, unliebsame Entscheidungen zu treffen. Denken Sie nur an den Euro-Rettungsschirm. Auch die unteren politischen Ebenen tun nichts, weil sie Freude daran haben, Macht zu demonstrieren. Sie bestimmen, wer Direktor oder Schulinspektor wird, welcher Lehrer wohin versetzt wird. So verteidigen sie ihr Reich. Die Österreicher haben sich leider viel zu sehr daran gewöhnt, dass die Schulen in rote und schwarze aufgeteilt werden. So etwas gibt es in keiner anderen Demokratie auf der ganzen Welt. Das ist doch absurd.Haben Sie denn Hoffnung, dass sich doch etwas ändert?Ich bin mir sicher, dass sich langfristig etwas ändert. Denn wenn wir so weitermachen wie bisher, wird uns irgendwann das Geld ausgehen. Bestes Beispiel sind die Neuen Mittelschulen. Oft sind sie reiner Etikettenschwindel, weil sie nichts anderes sind als Hauptschulen. Sie kosten aber wesentlich mehr. Irgendwann wird dieses teuere System kollabieren. Darauf können wir vielleicht noch lange warten.Mag sein. Aber wenn das System zusammenbricht, dann geht alles plötzlich sehr schnell. Ähnlich wie beim Fall der Berliner Mauer. Ich hoffe, dass ich mit meinem Buch dazu beitrage, einen Stein aus der Mauer der verkrusteten Schulstrukturen zu brechen – einen Stein, der weit unten verbaut ist.Wie geht es Ihnen als Mensch damit, dass Reformen verweigert werden? Ich bin wütend. Deshalb habe ich mein Buch mit sehr viel Emotionen geschrieben. Dennoch beziehe ich mich in meinen Analysen auf objektive Daten der Statistik Austria und der OECD. Was wäre Ihre erste Amtshandlung als Minister? Es gibt in Österreich vorbildliche öffentliche Schulen, über die schreibe ich ja. Diesen Schulen würde ich sofort die volle Autonomie geben – pädagogisch, personell und finanziell. Die sollen den anderen vorzeigen, wie es geht (mehr über fantasievolle Schulen können Sie hier nachlesen).Sie wünschen sich, dass jeder sagt: "Lasst uns anfangen." Was kann jeder dazu beitragen, dass unser Bildungssystem besser wird? Ein Direktor kann leistungsstarke Lehrer fördern und möglichst viel Autonomie erkämpfen. Eltern, deren Kinder in schlechte Schulen gehen, sollten ihr Kind aus der Schule nehmen. Geht das Kind in eine lebendige Schule, fordere ich die Eltern auf, publik zu machen, wie guter Unterricht aussieht. Schülern rate ich: Schau dir jeden Lehrer genau an. Zu welchem kannst du eine gute Beziehung aufbauen? Wer bringt dich weiter? Da, wo es gute Beziehungen gibt, gelingt Schule. Lehrer und Schüler profitieren da voneinander.

Infos

Schreiben Sie uns: Was muss sich an Österreichs Schulen ändern? Brauchen wir mehr Ganztagsschulen? Müssen Lehrer besser ausgebildet werden? Müssen wir der Bildung mehr Wertschätzung entgegen bringen? Senden Sie Ihre Vorschläge per eMail an schueleranwalt@kurier.at, Stichwort: Lebendige Schule - oder posten Sie in den Kommentaren (unten).

Geben Sie bitte an, ob Sie uns in der Rolle der Eltern, des Schülers oder des Lehrers schreiben.

Zur Person: Andreas Salcher

Biografie Salcher (52) ist ehemaliger Politiker der ÖVP. Er ist Mitbegründer der Sir-Karl-Popper-Schule für Hochbegabte. Bekannt machte Salcher sein erstes Buch "Der talentierte Schüler und seine Feinde", das 2008 erschien.

Neuerscheinung Ab heute ist Andreas Salchers viertes Buch im Handel erhältlich: "Nie mehr Schule – Immer wieder Freude", Ecowin-Verlag, 14,90 Euro.

Idee des neuen Buches Das Buch hat zwei Cover, man kann es von vorne und hinten lesen. Es ist also Schwarzbuch und Weißbuch in einem. Es soll nicht nur Kritik aufzeigen, sondern auch Lösungen bieten.

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